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Hinweis: Der nachfolgende Text erschien zunächst auf Infosperber.ch, einer Online-Zeitung aus der Schweiz. Auch Der-Demokratieblog bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum und unterstützt deshalb die Vielfalt alternativer Medien! Die Rechtschreibung dieses Artikels richtet sich nach der schweizerischen Schreibweise.
Nord-Stream-Sabotage: Polen und Tschechien behindern Aufklärung
Deutsche Ermittler haben ukrainische Taucher als Täter im Visier. Doch der Hauptverdächtige entwischte kurz vor der Verhaftung.
6. September 2024
von German Foreign Policy
Enge Verbündete Deutschlands blockieren die Aufklärung des Anschlags auf die Nord Stream-Pipelines und nennen die Erdgasleitungen ein «legitimes Ziel». Wenn der Anschlag mit der klaren Absicht begangen worden sei, den Verkauf von russischem Erdgas an Westeuropa zu unterbinden, dann sei er vollkommen gerechtfertigt. Das erklärte Mitte August Tschechiens Präsident Petr Pavel. Zuvor hatte Polens Ministerpräsident Donald Tusk verlangt, alle, die jemals den Bau einer der zwei Nord-Stream-Pipelines begünstigt hätten, sollten sich jetzt «entschuldigen und … schweigen».
Polen sabotiert seit einiger Zeit Ermittlungen deutscher Behörden, die den Anschlag einer Gruppe von Privatpersonen zuschreiben, darunter mehrere Ukrainer. Laut Medienberichten hatten der ukrainische Präsident Wolodymyr Selensky sowie möglicherwiese auch polnische Stellen Kenntnis von den Anschlagplänen. Bei alledem gibt es weiterhin ernsthafte Zweifel an der deutschen Ermittlungsthese. Gewichtige Argumente sprechen unverändert für einen staatlichen Täter – nach Lage der Dinge die Vereinigten Staaten. Ermittlungen, die in diese Richtung zielen, werden in Deutschland nicht geführt.
Staatliche Täterschaft plausibel
Auch rund zwei Jahre nach den Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines ist die Darstellung des investigativen US-Journalisten Seymour Hersh plausibel (Infosperber berichtete). Er hatte – basierend auf Informationen von Insidern – rekonstruiert, die Erdgasleitungen seien im Auftrag der US-Regierung von US-Stellen gesprengt worden. Insbesondere entsprach das der Auffassung von Experten, eine Aktion mit so grossen Mengen an Sprengstoff in so grosser Wassertiefe könne nur von Personen mit Zugriff auf staatliche Kapazitäten durchgeführt werden. Die Sprengsätze seien im Juni 2022 während des NATO-Grossmanövers Baltops an den Pipelines angebracht und im September 2022 ferngesteuert gezündet worden.
Politiker und Leitmedien in Deutschland wiesen Hershs Recherchen umgehend zurück. Ein sogenannter Faktenfinder der öffentlich-rechtlichen ARD diffamierte den renommierten US-Journalisten als «Meister … der Fantasien». Die Begründung: Hersh habe die «unwahrscheinlich[e]» Behauptung getätigt, es sei «Sprengstoff in Pflanzenform» eingesetzt worden.[1] Der «Faktenfinder» war offenkundig unfähig, Hershs Formulierung «[to] plant shaped C4 charges» korrekt zu übersetzen als «C4-Hohlladungen anbringen».[2]
Die Version mit der gemieteten Jacht
Kurz nach der Publikation von Hershs Recherchen legten deutsche und US-amerikanische Medien eine alternative Theorie vor, die sich erklärtermassen auf ungenannte Mitarbeiter der US-Regierung und auf Ermittlungen deutscher Behörden stützte. Demnach sei der Anschlag von der sechsköpfige Besatzung einer gemieteten Jacht durchgeführt worden – von «einer Gruppe aus einem Kapitän, zwei Tauchern, zwei Tauchassistenten und einer Ärztin», hiess es. Die Gruppe habe am 6. September 2022 in Rostock eine kleine Jacht mit Sprengstoff beladen und sei von dort aus zu einer kleinen Rundreise in der Ostsee aufgebrochen. Nach Stationen auf Wieck auf der Halbinsel Darss, auf der dänischen Insel Christiansø, im schwedischen Sandhamn sowie im polnischen Kołobrzeg sei sie letzten Endes nach Rostock zurückgekehrt. Zwischendurch hätten die Taucher die Sprengsätze angebracht.[3]
Experten äusserten sich in ersten Stellungnahmen skeptisch; so hiess es etwa, der Umgang mit Sprengstoff sowie das Tauchen in extremen Tiefen erforderten eine oft «jahrelange Ausbildung, insbesondere im Militär».[4] Unklar blieb auch, wieso hochprofessionell operierende Täter Sprengstoffspuren und Fingerabdrücke in der Jacht nicht beseitigt haben. Zudem begann die Durchsuchung der Jacht erst am 18. Januar 2023 – Zeit genug, das Boot zwischendurch zu präparieren.
Mitwisser, Mittäter?
Während rasch die Vermutung geäussert wurde, es könne sich bei der offiziösen Tatversion um eine gezielt gelegte und genährte falsche Fährte handeln, setzten die deutschen Behörden ihre Ermittlungen gegen die Gruppe, die auf der Jacht in die Ostsee gestochen war, fort.
Mitte August erweiterte ein Bericht des «Wall Street Journal» die Version um weitere Elemente. Demnach sei der Gedanke, die Nord-Stream-Pipelines zu sprengen, im Mai 2022 entstanden, als einige ukrainische Militärs und Geschäftsleute die Erfolge der damaligen ukrainischen Gegenoffensive mit grösseren Mengen alkoholischer Getränke feierten. Präsident Wolodymyr Selensky habe dem Plan zunächst zugestimmt, die Genehmigung aber auf eine Intervention aus Washington zurückgezogen. Daraufhin habe der damalige Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Walerij Saluschnyj, die Planungen auf eigene Faust fortgesetzt.[5]
Saluschnyj streitet dies selbstverständlich ebenso ab, wie Selensky in Abrede stellt, er sei ursprünglich in die Anschlagpläne involviert gewesen. Auch Polens Regierung weist jede Form einer Mitwisserschaft oder gar Tatbeteiligung zurück. Dass es eine «Verabredung zwischen den höchsten Spitzen in der Ukraine und in Polen» gegeben habe, den Anschlag auszuführen, hatte zuvor Ex-BND-Präsident August Hanning geäussert.[6]
Ermittlungen sabotiert
Nicht nur der Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines selbst, auch seine Nachwehen bringen die deutsche Regierung in eine heikle Situation. Schon unmittelbar nach dem Anschlag hatte die Tatsache Aufsehen erregt, dass Bundeskanzler Olaf Scholz es umstandslos hinnahm, dass US-Präsident Joe Biden auf einer gemeinsamen Pressekonferenz am 7. Februar 2022 ankündigte, im Fall eines russischen Einmarschs in die Ukraine werde es «kein Nordstream 2 mehr geben».[7]
Aktuell ruft Erstaunen hervor, dass ein von den deutschen Behörden verdächtigtes und mit europäischem Haftbefehl gesuchtes Mitglied der Jacht-Crew offenkundig in der Lage war, sich aus seinem Wohnort westlich von Warschau in die Ukraine abzusetzen. In Warschau heisst es dazu, man habe den Mann nicht aufhalten können, da die deutsche Seite es versäumt habe, ihn in das Schengen-Register einzutragen, auf das an der Grenze bei Kontrollen zugegriffen werde.[8]
Sollte dies zutreffen, dann würden sich neue Fragen stellen. Interessant ist nicht zuletzt, dass der Mann, wie auch zwei weitere Verdächtige, von deutschen Journalisten ohne weiteres kontaktiert werden konnten – vermutlich in der Ukraine –, dass sie aber von Kiew nicht an die deutschen Behörden überstellt werden. Demnach sabotiert Kiew Berlins Versuche, einen Anschlag auf die Energieinfrastruktur der Bundesrepublik aufzuklären.
«Entschuldigen und schweigen»
Ähnliches gilt für Polen, das unter anderem nicht bereit ist, Videoaufnahmen aus dem Hafen von Kołobrzeg, die zur Aufklärung des Geschehens um die erwähnte Jacht beitragen könnten, an die deutschen Behörden weiterzugeben. Im Hinblick auf vorsichtige Kritik an der polnischen Verhinderungstaktik erklärte Ministerpräsident Donald Tusk kürzlich auf dem Kurznachrichtendienst X: «An alle Initiatoren und Schirmherren von Nord Stream 1 und 2: Das Einzige, was ihr jetzt tun solltet, ist, euch zu entschuldigen und zu schweigen.»[9]
Tschechiens Präsident Petr Pavel hat jüngst die Nord-Stream-Pipelines zu einem legitimen Angriffsziel erklärt. Sollte der Anschlag mit der Absicht begangen worden sein, die Erdgasflüsse aus Russland nach Europa und die folgende Bezahlung des Gases an die liefernden russischen Unternehmen zu verhindern, dann sei dies «ein legitimes Ziel», äusserte Pavel.[10]
Dass enge Verbündete Anschläge auf die deutsche Energieinfrastruktur für zulässig erklären und Kritik daran komplett zum Schweigen bringen wollen, zeigt, dass die weitreichende Kontrolle über die EU, die Berlin einst besass, mit hohem Tempo schwindet.
FUSSNOTEN:
[1] ARD blamiert sich mit Übersetzungsfehler. t-online.de 24.02.2023.
[2] S. dazu Tatort Ostsee (III).
[3] S. dazu Tatort Ostsee (IV).
[4] Wie plausibel sind die Nord-Stream-Berichte? zdf.de 07.03.2023.
[5] Bojan Pancevski: A Drunken Evening, a Rented Yacht: The Real Story of the Stream Pipeline Sabotage. wsj.com 14.08.2024.
[6] «Es gab Verabredungen zwischen Selensky und Duda, den Anschlag auszuführen», behauptet der Ex-BND-Chef. welt.de 20.08.2024.
[7] Biden nach Gespräch mit Scholz: «Wenn Russland einmarschiert, wird es kein Nord Stream 2 mehr geben». rnd.de 08.02.2024.
[8] Erster Haftbefehl wegen Nord-Stream-Anschlägen. tagesschau.de 14.08.2024.
[9] «Sich entschuldigen und schweigen». Donald Tusk kritisiert Nord-Stream-Befürworter. Tagesspiegel.de 17.08.2024.
[10] Ketrin Jochecová: If Ukrainians did destroy Nord Stream, they may have been justified, Czech president argues. politico.eu 21.08.2024.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Dieser Beitrag erschien zuerst auf der Online-Plattform german-foreign-policy.com. Diese «Informationen zur Deutschen Aussenpolitik» werden von einer Gruppe unabhängiger Publizisten und Wissenschaftlern zusammengestellt, die das Wiedererstarken deutscher Grossmachtbestrebungen auf wirtschaftlichem, politischem und militärischem Gebiet kontinuierlich beobachten.
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