Bildquelle: Kerstin Forster

Was bleibt

Eine poetische Darstellung politischer Entwicklung

10.11.2019

von Kerstin Forster

Kennen Sie das auch? Den Wunsch, in den Elfenbeinturm zu flüchten? Manchmal überkommt es mich, dass ich den Lauf der Welt nur poetisch kommentieren kann, da die real-politische Betrachtung einfach zu deprimierend ist. Meine depressive Verstimmung beginnt mit AKK’s Schlachtruf zu Deutschlands neuer Stärke, der weiter steigenden Zustimmung der Wähler zur AfD – aber wen wundert es, bei so viel Groko-Dauerlethargie der SPD und neo-liberaler Grünen-Politik?

Sie, die depressive Verstimmung, hält an bei der zunehmenden Verrohung der Sprache und Angriffen auf Andersdenkende und endet beim Konsumirrsinn, der sich aktuell in den massiven Rabatten des Einzelhandels zum so genannten Single’s Day am 11.11. zeigt. Ein weiterer Versuch, uns darin zu bestärken, dass wir durch Konsum unsere Bürgerrechte wahrnehmen. Kein Faschingsscherz!

Dazu sei am Rande bemerkt, dass wir diese Entwicklung dem Calvinismus zu verdanken haben, der Wohlstand und Reichtum mit Tugend gleichsetzt und all die Mittellosen am Rande der Gesellschaft zu lästigen, mit Lastern behafteten Menschen erklärt. Slogans wie „Ichliebemich“, „Ichbinesmirwert“ und „nurfürmich“ als Rabattcodes für Onlinebestellungen verdeutlichen, wie tief Konsum mit unserem westlichen Werteverständnis verbunden ist.

Deswegen kommt Klimaschutz auch nur in denjenigen Bereichen voran, in denen konsumierbare Produkte geschaffen werden. Schaut her, ich kann mir ein neues Elektroauto leisten, wir fliegen zwar in den Urlaub, aber dafür in ein CO2-neutrales Resort, wir konsumieren Fair-Trade-Kaffee aus
wiederverwendbaren Bechern und kaufen unser Fleisch beim Bio-Metzger. Verzicht und Einschränkung sehen meiner Meinung nach anders aus.

Aber jetzt bin ich doch wieder bei den realen, gesellschaftlichen Verhältnissen gelandet. Dabei wollte ich mich nur gedanklich zurückbewegen an jenen Küstenstreifen am Atlantik, an dem ich diesen Sommer einige privilegierte Tage verbringen durfte. Immer, wenn mir alles zuviel wird, denke ich daran. Beim Blick auf das unendlich wirkende Meer und die gleichmäßige Dünung der Wellen entstand „Was bleibt“.

Was bleibt

Deine Wellen schlagen an die Ufer,
unbeirrbar durch die Gezeiten der Geschichte.
Blut und Schweiß vergangener Revolutionen haften an Deinen Gestaden,
doch der Ruf nach Freiheit und Gerechtigkeit droht zu erlöschen,
im Vergessen zu versinken.

Tröstend ertönt Dein donnernder Klang,
und bewegt sich vor und zurück,
während ein Wind zart Deine Oberfläche kräuselt.
Es ist beruhigend zu wissen,
dass wenigstens Du nicht still stehen wirst.

In dieser Schizophrenie will es mir scheinen,
als hätten wir eine Zukunft, oder vielmehr
Hoffnung auf eine Welt,
in der die Mächtigen ein Einsehen haben ob Deiner Wunder.

Doch es mehren sich die Orte des Elends,
zerstört durch Ausbeutung und Kriege.
Abermillionen von Menschen, die kein Entrinnen sehen,
ihren unwürdigen Lebensumständen zu entkommen.

Perspektivlosigkeit und Resignation machen uns
zu indifferenten Gespielinnen von Geld und Ökonomie.
Sie zerren an uns, machen uns leer und abhängig,
wo wir doch aufstehen sollten.

Wie sehne ich mich zurück nach meiner Jugend
und jenem „Wir sitzen alle in einem Boot“-Gefühl.
Die Probleme schienen groß, doch bewältigbar,
die Mauern hoch, doch erklimmbar.

Heute schweigt man und kämpft alleine,
mutlos, mit einer Verachtung ausgestattet,
die das eigene Überleben zu sichern verspricht.

Und in unserer anerzogenen Duldsamkeit
ertragen wir dies, indem wir konsumieren,
Dienstleistungen und Dinge,
die unsere Selbstachtung wiederherstellen sollen.

Aber dann, ab und an fühlen wir uns unbändig frei,
wenn wir auf Deine in der Sonne glitzernde Dünung blicken.
Und Wehmut macht sich breit beim Gewahrwerden
der viel zu schnell verstreichenden Tage und Nächte.

Es naht der Stillstand. Kollaps. Infarkt.
Wir verharren regungslos.
Wie Kinder, die sich unsichtbar fühlen.

Aber Du bewegst Dich weiter und wirst uns überdauern.

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