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Hinweis: Der nachfolgende Text erschien zunächst auf Infosperber.ch, einer Online-Zeitung aus der Schweiz. Auch Der-Demokratieblog bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum und unterstützt deshalb die Vielfalt alternativer Medien! Die Rechtschreibung dieses Artikels richtet sich nach der schweizerischen Schreibweise.

Warum Julian Assange nur wenig Unterstützung erhält

Die Solidarität mit dem Wikileaks-Gründer Julian Assange ist schwach. Der Internet-Aktivist fiel zwischen Stuhl und Bank.

27. Juni 2022

von Rainer Stadler

Die Gefahr für den in Grossbritannien inhaftierten Julian Assange, in die Fänge der USA zu geraten, ist wieder gestiegen, seitdem die britische Innenministerin Priti Patel einer Auslieferung an die Vereinigten Staaten zugestimmt hat. Ende des vergangenen Jahres hatte bereits der Londoner High Court festgestellt, dass eine Überstellung an die USA erlaubt sei –diese werfen dem Wikileaks-Aktivisten, der massenweise geheime staatliche Dokumente veröffentlichte, Spionage vor. Ihm droht eine Freiheitsstrafe von bis zu 175 Jahren.

Nach der jüngsten Nachricht aus Grossbritannien gab es erneut Solidaritätsbekundungen. Journalistenverbände und NGO kritisierten, es handle sich um einen Angriff auf die Medienfreiheit. Auch einige Journalisten kommentierten in ihren Organen, Grossbritannien gefährde damit die Arbeit von Rechercheuren und von journalistischen Plattformen, welche zur Aufdeckung von Skandalen und Verbrechen geheime Staatsdokumente publizieren. In den Kommentarspalten des Publikums ist Assange ohnehin zum vielzitierten Beispiel dafür geworden, dass ein doppelzüngiger Westen der ganzen Welt Medienfreiheit predige, zu Hause sich jedoch darum foutiere. 

Journalisten und deren Organisationen reagieren in der Regel sehr empfindlich und reflexartig, wenn sie ihren Bewegungsspielraum durch staatliche Massnahmen bedroht sehen. Dann kommt es über weltanschauliche Grenzen hinweg schnell zu Schulterschlüssen, wie jüngst in der Diskussion um eine leichte Senkung der Hürde für superprovisorische Verfügungen gegen missliebige Publikationen. Doch im Fall von Assange sind die Reaktionen im Mediensektor auffällig lau. Auch frühere Aufrufe für eine Freilassung von Assange verhallten ohne Wirkung. Der UN-Sonderberichterstatter über Folter, Nils Melzer, prangerte wiederholt das staatliche Vorgehen gegen Assange als rechtswidrig an, er fand damit aber nur ein mässiges Echo in den Medienarenen.

Warum ist das so? Folgende Gründe kann man dafür ausmachen:

  • Langwierige rechtliche Verfahren, die sich über Monate oder wie bei Assange gar über Jahre dahinziehen, haben eine ätzende Wirkung auf Solidaritätsaktionen, deren Energie ohne kluge Steuerung schnell zu verpuffen droht.
  • Die Öffentlichkeit ist weiterhin auf nationale Strukturen ausgerichtet. Entsprechend anspruchsvoller ist es, mit einem Anliegen grenzüberschreitende Aufmerksamkeit und allgemeine Empörung zu erzeugen.
  • Assange und Wikileaks haben zu Beginn mit Redaktionen wie der «New York Times» oder dem «Guardian» zusammengearbeitet; es gelangen so weltweit koordinierte und entsprechend aufsehenerregende Publikationen, insbesondere über interne Berichte von US-Diplomaten. In der Folge kam es jedoch zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Assange und den Redaktionen über die publizistische Auswertung und den Zugriff auf die zugespielten Staatspapiere. Entsprechend kühlte sich die Beziehung der Partner-Medien zu Assange ab, was späteren Solidaritätsaktionen sicher nicht förderlich war.
  • Wikileaks war zudem eine Bedrohung für das Geschäftsmodell der etablierten Medienhäuser. Ein Branchenfremder erschloss ein neues Gebiet, das erfolgversprechend war: den computergestützten Zugriff und die Auswertung von Unmengen von geheimen Papieren, welche Chancen auf exklusive Publikationen eröffneten. Wer da mitzieht, kann nicht unbedingt auf ökonomischen Erfolg hoffen, aber immerhin sein Renommee stärken. Die Medienhäuser haben seither ihre Investitionen in Rechercheabteilungen verstärkt und dafür geschaut, dass sie den Handel mit Geheimpapieren möglichst allein oder mit wenigen internationalen Partnern kontrollieren können. «Leaks» wurden zu einem neuen journalistischen Genre. Wikileaks gab den Anstoss dazu. Aber Assange geriet dadurch auch in die Rolle des lästigen Konkurrenten.
  • Wikileaks verabsolutierte das Prinzip Transparenz. Auf dieser Plattform sollten geheime Dokumente en masse ans Licht gezerrt werden, um die Machenschaften und den Wissensvorsprung der Mächtigen zu stören. «Leaken ist grundsätzlich ein anarchistischer Akt» – so zitieren Marcel Rosenbach und Holger Stark Assange in ihrem Buch über den «Staatsfeind Wikileaks». Mit seinem revolutionären Ansatz steht er im Widerspruch zum klassischen westlichen Journalismus, der zwar die Mächtigen öffentlich zur Rechenschaft ziehen will, dabei aber keinen Umsturz anstrebt, sondern vielmehr Reformen zur Verbesserung von politischen oder gesellschaftlichen Verhältnissen im Blick hat. Die Tätigkeit eines Journalisten unterscheidet sich insofern grundsätzlich von jener des Wikileaks-Aktivisten. Ein Journalist selektiert, analysiert und bewertet Informationen, ohne dabei die ihm zur Verfügung stehenden Dokumente wahllos publik zu machen. In diesem Sinn gehört Assange nicht zum journalistischen Kosmos. Das schwächt die Lust auf Solidaritätsaktionen.  
  • Assange publizierte 2016 während des Wahlkampfs zwischen Hillary Clinton und Donald Trump E-Mails der US-Demokraten und schadete damit dem Clinton-Lager. In der polarisierten Atmosphäre in den USA wirkte dies wie eine Allianz zwischen dem Anarchisten Assange und dem Faschisten Trump. Damit verspielte er sich die Sympathie eines Grossteils der Journalisten, ohne jedoch auf der anderen Seite ernsthafte Unterstützung zu finden. 
  • Der eitle Assange, der dank seinen Wikileaks-Aktionen die öffentliche Aufmerksamkeit genoss, wähnte sich allzu lange in falscher Sicherheit. Er hatte eine Plattform aufgebaut, die für alle Staaten eine Bedrohung darstellt. Solange Assange Zugang zu einem Computer hat, muss jeder Staat damit rechnen, Ziel eines Angriffs zu werden. Doch kein Land kann daran interessiert sein, dass geheime oder vertrauliche Dokumente massenhaft auf einer öffentlich zugänglichen Plattform landen. Nun wollen die USA ein Exempel statuieren.
  • Dem Prinzip der totalen Transparenz wohnt etwas Totalitäres inne. Auch ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen würde daran zugrunde gehen. Entsprechend schaffte sich Assange mit seinem digitalen Anarchismus weitherum Feinde.
  • Wer mächtige Akteure angreift, sollte Ausschau halten nach starken Kräften, die ihm im Notfall beistehen. Der Whistleblower Edward Snowden, der die weitreichenden Schnüffeleien des US-Geheimdienstes NSA publik machte, war geschickter als Assange. Er fand Unterschlupf in Russland, also einem Gegenspieler der USA. Russlands Chef Putin ist zwar ein Feind der Freiheit, aber es schadet gewiss nicht seinem Ruf, wenn er einem amerikanischen Dissidenten Schutz gewährt. Vielmehr pflanzte er damit im globalen Kampf um Deutungshoheit einen Stachel ins Fleisch des Gegners. Snowden sitzt nun wenigstens in einem «goldenen» Käfig, während Assange mangels Unterstützern der ewige Kerker droht.
  • Nachtrag: Die Ermittlungen wegen sexueller Übergriffe haben Assange zusätzlich geschadet. Die Untersuchungen der schwedischen Behörden wurden zwar eingestellt. Aber im Zeichen der Me-too-Bewegung ist die Gefahr gross, dass so oder so etwas am Beschuldigten hängenbleibt und dieser dadurch zu einem Unberührbaren wird.

Julian Assange

Der 1971 in Australien geborene Julian Assange gründete 2006 mit Gesinnungsgenossen die Enthüllungsplattform Wikileaks, um geheime Dokumente von Staaten an die Öffentlichkeit zu tragen. Die Website publizierte in der Folge interne Papiere über Korruption in Kenia und toxische Abfälle an der Elfenbeinküste. Weltweit Aufsehen erregte sie 2010 mit der Publikation von internen Berichten der US-Diplomatie und von Dokumenten über Kriegsverbrechen der USA im Irak. Während des US-Präsidentschaftswahlkampfs im Jahr 2016 veröffentlichte Wikileaks E-Mails des Kampagnenführers der Demokraten, was der Plattform den Vorwurf eintrug, sich instrumentalisieren zu lassen. Die USA leiteten Ermittlungen gegen Assange ein. Im August 2010 wurde er zudem verfolgt wegen angeblicher Sexualdelikte in Schweden. Aus Angst vor einer Auslieferung an die USA flüchtete Assange 2012 in London in die Botschaft von Ecuador. Das Land gewährte ihm Asyl. Diesen Schutz entzog ihm Präsident Morena im Jahr 2019, worauf die britische Polizei Assange wegen Verstosses gegen Kautionsbedingungen festnahm. Nach Verbüssung einer einjährigen Haft wurde Assange nicht freigelassen, weil die USA einen Auslieferungsantrag an Grossbritannien gestellt hatten. Diesem stimmte die Regierung am 17. Juni 2022 zu. Das jahrelange juristische Ringen um Assange ist damit aber noch nicht abgeschlossen.  


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Rainer Stadler

arbeitete seit 1989 für die Neue Zürcher Zeitung und schrieb unter dem Kürzel ras. über Themen wie Medienpolitik und Medienberichterstattung, behandelte aber auch medienethische Fragen, hauptsächlich im Ressort Inland und für die Beilage «Medien». Ende September 2020 verließ Stadler die NZZ nach 31 Jahren auf eigenen Wunsch. Seither schreibt Stadler in Teilzeit für das Online-Magazin Infosperber über Medienpolitik, Medienbeobachtung und medienethische Fragen.

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