Deutschland im politischen Schwitzkasten der Türkei

Dr. Elmar zeigt Kante

15. März 2017

von Elmar Widder

So komplex uns die Tragikomödie über die deutsch-türkischen Beziehungen der letzten Tage auch erscheinen mag und so intensiv die Debatten über die geplanten Wahlauftritte auch geführt wurden, so einfach ist es letztendlich, das zögerliche Verhalten der Bundesregierung zu erklären. Darüber hinaus ist die rechtliche Lage zum Thema Wahlkampfauftritte ausländischer Staatsmänner hier in Deutschland glasklar, ungeachtet aller Diplomatie, die im Falle Deniz Yücel noch benötigt wird.

Warum verhielt sich die Bundesregierung um Frau Merkel und Herrn Altmaier so diplomatisch, trotz der Vergleiche mit Nazi-Methoden?

Ganz einfach, die EU-Mitgliedsstaaten und allen voran Deutschland hatten mit der Türkei ein Flüchtlingsabkommen geschlossen, das am 20. März 2016 in Kraft trat (Quelle: Europäischer Rat – Pressemitteilung vom 18.03.2016). Darin wurde unter anderem vereinbart, dass alle irregulären Migranten, die von der Türkei auf die griechischen Inseln gelangen, wieder in die Türkei zurück geführt werden. Kurz gesagt: Die Türkei nimmt uns so lange Flüchtlinge ab, bis die Zahl der Grenzüberquerungen erheblich und nachhaltig zurückgeht. Dafür gab´s natürlich auch eine Gegenleistung von der EU: genau – Geld.  Die EU hat der Türkei als Gegenleistung 3 Milliarden Euro (das schreibt man so: 3.000.000.000,-) versprochen. Derzeit verweilen ca. 2,7 Millionen Syrer in der Türkei. Deshalb möchte Frau Merkel die Regierung Erdogan auf keinen Fall verärgern, denn eine weitere Flüchtlingswelle vor der Bundestagswahl könnte ihr politisches Ende bedeuten. Somit kann  der Flüchtlingsdeal der EU mit der Türkei als Fehler gewertet werden, weil sich die  Bundesregierung von Herrn Erdogan im Hinblick auf Flüchtlinge abhängig gemacht hat.

Warum ist die Meinungsfreiheit des Herrn Erdogan nicht eingeschränkt, wenn er hier keinen Wahlkampf betreiben darf?

Weil Herr Erdogan oder seine Regierungsvertreter hier nicht privat tätig werden, sondern eine politische Meinung vertreten. Die Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht (Artikel 5 GG), das für alle gilt. Das heißt, jeder Mensch darf seine private Meinung äußern, solange er niemand anderen beleidigt. Politische Veranstaltungen sind jedoch differenziert zu betrachten und werden in Deutschland im Rahmen des Versammlungsgesetzes von den Ordnungsämtern geprüft und entweder genehmigt oder abgesagt (das Versammlungsgesetz existiert auf Bundes- sowie auf Landesebene). Die Versammlungsfreiheit ergibt sich aus Artikel 8 des Grundgesetzes, jedoch steht sie laut Wortlaut nur „allen Deutschen“ zu. Das Bundesverfassungsgericht ging in einer Entscheidung über die Annahme einer Verfassungsbeschwerde sogar einen Schritt weiter und stellte fest: „Soweit ausländische Staatsoberhäupter oder Mitglieder ausländischer Regierungen in amtlicher Eigenschaft und unter Inanspruchnahme ihrer Amtsautorität in Deutschland auftreten, können sie sich NICHT auf die Grundrechte berufen.“ (Quelle: BVerfG, 2 BvR 483/17 vom 08.03.2017)

(Völker)rechtliche Ausgangssituation zu Wahlkampfauftritten im Ausland

Sowohl die Türkei als auch Deutschland sind unabhängige und souveräne Staaten. Das bedeutet, dass die Türkei in ihrem Hoheitsgebiet selbst festlegen darf, welcher ausländische Staatsvertreter innerhalb der Türkei Wahlwerbung machen darf. Das Gleiche gilt natürlich auch für Deutschland. Ungeachtet der Information, dass es gemäß des türkischen Wahlgesetzes nicht erlaubt ist, im Ausland Wahlwerbung zu machen (Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 09.03.2017), kann Deutschland natürlich als souveräner Staat auch selbst festlegen, ob und wann ausländische Wahlwerbung in unserem Land zulässig ist. Für Präsident Erdogan bzw. seine türkischen Regierungsvertreter zählt Deutschland als Ausland und sie würden durch ihre Wahlwerbung bei uns, sprich in Deutschland, Stellung zur türkischen Innenpolitik beziehen. Dazu benötigen sie aber die Zustimmung und Erlaubnis der Bundesregierung und die der zuständigen deutschen Behörden – ganz einfach. Also, es gibt demzufolge kein Recht, dass einem ausländischen Staatsmann per se erlaubt, hier in Deutschland Wahlkampf zu führen. Hinzu kommt, dass das Aufenthaltsgesetz ausländische Wahlauftritte untersagen kann, wenn der innere Frieden in unserem Land gefährdet ist. Inwiefern diese Situation letztendlich gegeben ist, möchte ich an dieser Stelle offen lassen. Eines ist jedoch sicher: Inner-türkische Konflikte, egal ob für oder gegen die Regierung Erdogan, haben hier in Deutschland sicherlich nichts zu suchen.

Grenzen der Meinungsfreiheit

Man kann sich auf die Meinungsfreiheit zum Beispiel dann nicht mehr berufen, wenn man andere Menschen beleidigt. Das heißt, es gibt Grenzen. Grundrechte können kollidieren. Dann gilt es im konkreten Einzelfall abzuwägen, welchem Grundrecht das höhere Gewicht zukommt. All diejenigen, die denken, dass es keine Einschränkungen zur Meinungsfreiheit gibt, sollten sich das so genannte „Verbot des Missbrauchs der Rechte“ gemäß Artikel 17 der Europäischen Menschenrechtskonvention durchlesen (Quelle: dejure.org). Man könnte jetzt sicherlich wieder innig darüber diskutieren, ob das geplante türkische Referendum die Rechte und Freiheiten der türkischen Bürger stärker einschränken würde. Ich als Deutscher erlaube mir an dieser Stelle kein Urteil. Ein Bericht der Venedig-Kommission, einer Einrichtung des Europarates (nicht zu verwechseln mit der EU), blickt dem Referendum in der Türkei jedoch mit Sorge entgegen. Den Bericht finden Sie hier (Quelle: Venedig-Kommission des Europarats).

Geschichtlicher Rückblick auf Deutschland um 1933/34

In unserer Geschichte nahm das Unheil am 30.01.1933 seinen Lauf, als Hitler von Reichspräsident Hindenburg zum Reichskanzler ernannt wurde. So weit, so gut. Hitler hatte damals keine absolute Mehrheit im Reichstag, jedoch waren vor ihm drei Kanzler der „etablierten“ Parteien gescheitert (Brüning, v. Papen, v. Schleicher). Deshalb ließ man ihn machen. Tja, das war ein Fehler. Am 28.02.1933 erließ Hitler die so genannte „Reichstagsbrandverordnung“, die Grundrechte wie den Schutz vor willkürlicher Verhaftung aufhob. Kurz darauf, am 23.03.1933 erließ Hitler dann das berühmte Ermächtigungsgesetz. Die entsprechende 2/3 Mehrheit bekam er auch von der Zentrumspartei und kleineren Parteien, die unter dem Druck der SA nachgaben. Mit dem Gesetz wurde eingeführt, dass die Regierung ohne Zustimmung vom Parlament (Reichstag) sowie ohne Gegenzeichnung des Präsidenten Gesetze erlassen konnte. Am 31.03.1933 folgte das Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich. Danach entmachtete Hitler die SA, um die Sympathien der Reichswehr zu gewinnen. Er ließ den damaligen Chef der SA, Ernst Röhm, exekutieren. Als der damalige Reichspräsident Hindenburg am 02.08.1934 letztendlich starb und Hitler auch noch Reichspräsident wurde, hatte er auch den Oberbefehl über die Reichswehr – die spätere Wehrmacht. Und schon war´s passiert…

Was ich damit sagen will ist: Die Errichtung eines Führerstaates erfolgt step by step.

Analyse

Kanzlerin Merkel befindet sich in Bezug auf die Flüchtlingssituation im „politischen Schwitzkasten“. Herrn Erdogan zu vergraulen könnte bedeuten, dass noch vor der Bundestagswahl 2017 eine neue Flüchtlingswelle auf uns zurollt. Passiert dies, wächst der innenpolitische Druck auf die Kanzlerin. Somit bleibt der Bundesregierung nichts anderes übrig, als die „Schamützel“ des Herrn Erdogan über sich ergehen zu lassen. Darüber hinaus wird die Kanzlerin das diplomatische Wohlwollen der Türkei im Fall Deniz Yücel benötigen – ein weiterer Punkt, warum sie gegenüber der Türkei einen Zickzack-Kurs fährt.

Einziger Trost, den die Bundesregierung noch hat: Man kann ja verbal immer noch munter auf Russland „einprügeln“. Erst kürzlich bewertete Außenminister Gabriel die Errichtung eines Raketensystems im Kaliningrader Gebiet als kritisch. Dass aber längst NATO-Truppen an den Grenzen des Baltikums stationiert sind, die ihrerseits wiederum bedrohlich auf Russland wirken könnten, erwähnte Herr Gabriel nicht. Teile dieser NATO-Truppen stammen übrigens vom Panzergrenadierbattailon 122 aus Oberviechtach, also aus der Oberpfalz. Wie auf einem NATO-Gipfel im Juli 2016 beschlossen wurde, übernimmt Deutschland im Baltikum die Führung des multinationalen Gefechtsverbands im Rahmen der Operation Enhanced Forward Presence, was nichts anderes als erweiterte Präsenz nach vorne bedeutet. Merken Sie etwas? Nach vorne? Wo wollen wir denn hin? Nach Russland? (Lesen Sie mehr über die NATO-Operation Atlantic Resolve hier). Auch ich sehe des Öfteren Panzer und schweres Gerät über die Bayreuther Straße rollen. Wie Sie also sehen, sind die Auswirkungen der Weltpolitik auch hier in Amberg deutlich erkennbar.

Denken Sie nach! Ich bin für Frieden.

2 Kommentare
  1. Sarah sagte:

    Mangelt es den deutschen Politikern an Interesse für die im Ausland lebenden Deutschen oder sind die türkischen Politiker einfach aktiver?

    Mehr als 1,5 Millionen Deutsche leben im Ausland (die meisten in der Schweiz, den USA, Österreich).
    Wie nah sind die deutschen Politiker gerade im Wahljahr an den im Ausland lebenden deutschen Staatsbürgern – wie gerade aktuell die türkischen Politiker an den in der EU/Deutschland lebenden türkischen Staatsbürgern? Man sucht vergeblich nach einem vergleichbaren Beispiel.

    Im digitalen Zeitalter können die türkischen Politiker ihre Wähler weltweit erreichen. Jedoch denken manche Politiker, dass die Demokratie in Deutschland solche „Vorort-Wahltätigkeiten“ seitens der Türkei verträgt. Trotzdem bräuchte sich Herr Erdogan auf Grund der weltweiten medialen Erreichbarkeit aber nicht als Opfer darstellen.

    Gerade dieses Jahr sollte Deutschland der Schauplatz für die Wahlinteressen und Probleme der deutschen und deutsch-türkischen Staatsbürger sein, daher stimme ich dem Autor zu.

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