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Hinweis: Der nachfolgende Text erschien zunächst auf Infosperber.ch, einer Online-Zeitung aus der Schweiz. Auch Der-Demokratieblog bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum und unterstützt deshalb die Vielfalt alternativer Medien! Die Rechtschreibung dieses Artikels richtet sich nach der schweizerischen Schreibweise.

Wer steckt hinter dem Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines?

Motive dafür haben zahlreiche Staaten und internationale Akteure, die technischen Mittel allerdings nur wenige.

3. Oktober 2022

von Alexander Männer

Red. Alexander Männer versucht, die verschiedenen Interessenlagen und Motive darzustellen. Männer schreibt u.a. für das Overton Magazin des deutschen Westend Verlags. Wir stellen diesen von der Agentur pressenza verbreiteten Artikel zur Diskussion.

Die Ostsee-Gaspipelines Nord Stream 1 und 2, die aus Russland nach Deutschland verlaufen, wurden nahe der Insel Bornholm ernsthaft beschädigt. Die Täter der Anschläge sind nach wie vor nicht geklärt und es wird wahrscheinlich noch einige Zeit dauern, bis man eindeutig sagen kann, wer dafür verantwortlich ist. Allerdings gibt es Anzeichen dafür, dass die Pipelines explodiert sind oder gesprengt wurden.Seismologen erklärten, dass es sich um Unterwasser-Explosionen handeln soll. Zum Beispiel teilte der auf Erdbeben spezialisierte Geophysiker Björn Lund vom Schwedischen Seismologischen Netzwerk (SNSN) nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters mit, dass man zwei deutliche Detonationen in dem Gebiet registriert habe – die erste in der Nacht vom 26. auf den 27. September und eine zweite am Abend des 27. Septembers.

Die Gasleitung Nord Stream 1 war in den vergangenen Wochen zwar aufgrund von Reparaturschwierigkeiten nicht in Betrieb, aber trotzdem mit Gas gefüllt. Die Leitung Nord Stream 2 hingegen wurde nach ihrer Fertigstellung vor knapp einem Jahr nicht in Betrieb genommen, was direkte Auswirkungen auf die Gaspreise in Deutschland hatte. Und wenn man jetzt sogar von einem langfristigen Ausfall der russischen Pipelines ausgeht, dann ist dies für die europäische Gasversorgung höchst problematisch, weil dadurch die Energiesicherheit Deutschlands und diverser anderer EU-Staaten in der kommenden Winterperiode wegen möglicher Gasknappheit enorm gefährdet wird.

Nur wenige Staaten haben die technischen Mittel

Eine der wichtigsten Fragen angesichts dessen lautet nun: Wer steckt hinter dem Nord-Stream-Zwischenfall? Motive für eine solche Tat haben viele Staaten und internationale Akteure, die technischen Mittel sowie andere dazu notwendige Voraussetzungen jedoch nur wenige.

Es kommt nur ein staatlicher Akteur infrage. Es sind sowohl die USA und ihre Verbündeten als Urheber des Zwischenfalls in Betracht zu ziehen, da sie mehrfach betont haben, den europäischen Gasimport aus Russland unterbinden zu wollen, als auch die Russen selbst, die ihre eigenen Interessen in der Energiekrise verfolgen.

Ist Russland für die Anschläge verantwortlich?

Zahlreiche westliche Medien haben die Schuld für die Anschläge der Führung in Moskau zuschoben. In einigen britischen Zeitungen etwa hiess es gleich am 27. September, dass es ein russischer Angriff gewesen sei. Aber auch deutsche Medien vertraten diese These. [Die Sonntags-Zeitung in der Schweiz berief sich am 2. Oktober auf den ehemaligen Chef des deutschen Nachrichtendienstes BND sowie auf die Denkfabrik Rand Corporation, welche das Militär in den USA berät, um die These zu unterstützen, dass wahrscheinlich Russland die Anschläge verübte. Anm. d. Red.]

Der Tagesspiegel warf die Frage auf, wem der «Energieterror nützen könnte», und stellte gleich die dazu passende Theorie auf, die Russen hätten in einer «False-Flag-Operation» ihre eigenen Gasleitungen gesprengt. Denn die daraus entstehende Verunsicherung würde ja grundsätzlich dem Kreml in die Karten spielen. Demnach könnte sein Motiv sein, Unsicherheit auf dem europäischen Gasmarkt zu schüren und möglicherweise den Gaspreis wieder nach oben zu treiben.

Aber auch deutsche Politiker wollen Russland als den Hauptverantwortlichen für den Zwischenfall ausgemacht haben. So etwa der CDU-Abgeordnete und stellvertretende Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Bundestag, Roderich Kiesewetter. Gegenüber dem Handelsblatt erklärte er, dass dies ein gezielter Sabotageakt sei, der «durchaus in die von Staatsterrorismus geprägte und hybride Vorgehensweise Russlands passen würde». Es könnte ein Versuch gewesen sein, so der Christdemokrat, Europa zu spalten, die Bevölkerung zu verunsichern und auf diesem Wege die Unterstützung der Ukraine zu schwächen.

Als Gegenargument für die Behauptung Kiesewetters könnte man anführen, dass Russland durch die Beschädigung der eigenen Infrastruktur sich eben auch selbst die Möglichkeit genommen hat, die Gasversorgung als Druckmittel zu verwenden.

Darüber hinaus verliert Moskau mittel- bis langfristig die Möglichkeit, die Pipelines in Betrieb zu nehmen, um die Einnahmen aus dem Gasexport in Milliardenhöhe zu generieren. Der Verlust dieser Gelder ist in Anbetracht der westlichen Sanktionspolitik besonders schmerzhaft für die Russen, weil der Export von Rohstoffen für die russische Wirtschaft eine zentrale Rolle spielt.

Was die «Verunsicherung des europäischen Gasmarktes» angeht, so ist erneut darauf hinzuweisen, dass über die beiden Nord-Stream-Leitungen zum Zeitpunkt des Zwischenfalls kein Gas transportiert wurde und die Gasmärkte auch nicht damit gerechnet haben, dass sich dies in naher Zukunft ändert. Dementsprechend stieg der Gaspreis auf dem Spotmarkt nach den Anschlägen auch nur auf 212 Euro je Megawattstunde. Dieses Preisniveau ist bei weitem nicht mit den Gaspreisen zu vergleichen, die man in den vergangenen Monaten in Europa sonst erlebt hatte.

Aber es gibt da auch noch andere Vermutungen: Zum Beispiel soll der Zeitpunkt günstig gewählt worden sein, um den Anschlag den USA unterzuschieben. Schliesslich bewegen sich derzeit viele Kriegsschiffe der NATO in der Ostsee und östlich von Bornholm sammelt sich ein grosser US-Kampfverband. U-Boote und Marinetaucher sollen auch an diversen Übungen teilgenommen haben.

Ausserdem könnte Russland Europa deutlich machen wollen, dass die westliche Sanktionspolitik nicht greift und dass man definitiv bereit sei, das Erdgas aus Westsibirien, das für den Export via Nord Stream in die EU bestimmt ist, in den kommenden Jahren nach China umzuleiten. Zumal Russland auch über andere Routen verfügt, um Gas nach Europa zu transportieren: die Pipeline «Turkish Stream» in Südeuropa, die Gasleitungen, die durch Weissrussland und die Ukraine gehen sowie den LNG-Transport.

Sind die USA für den Anschlag verantwortlich?

Trotz der Tendenz des Westens, immer zuerst die Russen zu verdächtigen, halten sich die europäischen Regierungen in diesem Zusammenhang mit Schuldzuweisungen derzeit zurück. Nicht aber die grossen europäischen Medien wie etwa der Tagesspiegel, die sich nach dem Pipeline-Zwischenfall umgehend daran gemacht haben, die Schuld Moskau zuzuschieben.

Angesichts der politischen Spannungen um Nord Stream sind vor allem die Vereinigten Staaten als Urheber der vermeintlichen Sabotage in Betracht zu ziehen, da sie nicht nur mehrfach betont haben, den europäischen Gasimport aus dem Osten unterbinden zu wollen, sondern auch ganz klar den grössten wirtschaftlichen und geopolitischen Nutzen davon hätten, die Energiepartnerschaft zwischen Russland und Deutschland durch die Ausschaltung der Ostsee-Pipelines entscheidend zu schwächen.

Seit 2017 wollen die USA die Nord Stream-Pipelines verhindern und eigenes Fracking-Gas nach Europa exportieren

Red. Der US-Kongress hat die US-Regierung mit einem Sanktionierungsgesetz dazu verpflichtet, den Bau einer zweiten deutsch-russischen Gasleitung in der Nordsee zu verhindern, um ihr eigenes Gas nach Europa exportieren zu können. Unternehmen und Banken, welche die Gasleitung Nord Stream 2 unterstützen, konnten seither mit Sanktionen belegt werden. Im Gesetz, das der US-Kongress im Jahr 2017 verabschiedete und Sanktionen gegen Investoren von Nord Stream 2 vorsieht, heisst es wörtlich:

«Die US-Regierung legt grössten Wert auf den Export amerikanischer Energieträger und auf die Schaffung amerikanischer Jobs.»

Sanktionsgesetz 2017
US-Sanktionsgesetz von 2017 © congress

Von einer «bemerkenswerten Offenheit» in diesem Gesetz sprach der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, Michael Harms, 2018 im ARD-Magazin Panorama. Es werde eine «aussen- und sicherheitspolitische Zielsetzung mit dem Verfolgen eigener Wirtschaftsinteressen verknüpft».

Die US-Juniorpartner Ukraine und Polen können nach einem definitiven Ausfall der Nord Stream-Pipelines als Transitländer bei der Energieversorgung Deutschlands nun eine herausragende Rolle spielen. Beide Staaten hatten immer wieder die Demontage von Nord Stream 2 gefordert und verlangen heute von der Europäischen Union, auf den Import von russischem Erdöl und Gas komplett zu verzichten.

Die USA haben diese Position stets unterstützt und kündigten ihrerseits im vergangenen Februar sogar an, Nord Stream 2 im Fall eines russischen Einmarsches in die Ukraine unbenutzbar zu machen.

Ausgehend von den technischen Möglichkeiten für die Durchführung eines Anschlags auf die Pipeline in 70 Metern Tiefe sind die US-Militärs ihren ukrainischen und polnischen Kollegen allerdings weit voraus. Zudem befanden sich zu dem Zeitpunkt der Sabotage viele amerikanische Kriegsschiffe in der Ostsee und östlich von Bornholm, wo ein grosser US-Kampfverband im Rahmen der NATO operierte.

Aus ökonomischer Sicht steht es ausser Frage, dass die USA ein grosses Interesse daran haben, preiswerte russische Rohstofflieferungen nach Deutschland, das zu den wichtigsten Konkurrenten der USA auf dem Weltmarkt zählt, langfristig zu verhindern. [Das ist auch der Inhalt eines Sanktionsgesetzes von 2017. Siehe Kasten oben.] Die Biden-Regierung brachte im vergangenen Jahr Nord Stream 2 mit Fragen der nationalen Sicherheit und der amerikanischen Aussenpolitik in Verbindung und unternahm zudem entsprechende Schritte, um Berlin dazu zu bringen, seine Sicht auf diese Pipeline zu ändern. Dazu gehören Sanktionen gegen diejenigen westlichen Unternehmen, die in das russische-europäische Energieprojekt involviert waren.

US-Interessen richten sich gegen die deutsche Wirtschaft

Kritiker hatten damals schon betont, dass die Amerikaner damit in erster Linie ihre eigenen Ziele verfolgen, die mit den fundamentalen Wirtschaftsinteressen der Bundesrepublik nicht nur nicht konvergieren, sondern sich offenbar gegen diese richten. Der Führung in Washington geht es schlicht darum, die eigenen Fracking-Produzenten und damit die US-Industrie zu stärken, indem man die deutschen Konkurrenten ihrer billigen Energieträger aus Russland «beraubt» und so die Beeinträchtigung der deutschen Wirtschaft forciert.

Es liegt nicht im Interesse der USA, Konkurrenten auf dem Weltmarkt künftig Produktionsvorteile gegenüber US-Wettbewerbern zu überlassen. Darum versucht das Weisse Haus, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um die Deutschen langfristig an das viel teurere Flüssiggas zu binden und die deutsche Industrie damit vor eine kostspielige Produktion zu stellen. Dadurch müssten die deutschen Unternehmen mehr Ressourcen in die Herstellung investieren, was ihre Erzeugnisse bestenfalls weniger konkurrenzfähig machen würde. So gesehen kann man die US-Strategie in Bezug auf Nord Stream 2 durchaus auch als einen Wirtschaftskrieg gegen Deutschland auffassen.

In diesem Sinne sind die USA auch auf bessere Absatzchancen für ihr Flüssiggas (LNG) auf den europäischen Märkten aus, das mit dem deutlich billigeren russischen Pipeline-Gas bisher nicht konkurrieren konnte. Da der russische Gasimport nun extrem begrenzt wurde und es auch keine preiswerteren Alternativen zum US-amerikanischen Treibstoff gibt, stehen die Amerikaner dem Magazin Spiegel zufolge kurz davor, Europas grösster LNG-Lieferant zu werden. Die Milliarden Euro, die zuvor für Energielieferungen nach Russland gingen, gehen jetzt zu einem grossen Teil in die Vereinigten Staaten.

Nicht zuletzt hat die Gasversorgung Deutschlands in der Ukraine auch eine wichtige politische Komponente, die den USA schon immer ein Dorn im Auge war. Der zentrale Aspekt dabei ist die Unersetzbarkeit der russischen Gaslieferungen, die Berlin immer dazu bewegt haben soll, auf russische Interessen Rücksicht zu nehmen, wie etwa im Ukraine-Krieg. Berlin weigerte sich bisher nicht nur vehement, schweres Kriegsgerät an die ukrainische Armee zu übergeben, sondern könnte die Ukrainer auch auf eine Beendigung des Konflikts mit Russland drängen. Jetzt, wo ein grosser Teil der Gaslieferungen für einen langen Zeitraum wegfallen dürfte, hat Deutschland nur wenig Nutzen davon, russische Interessen zu berücksichtigen und Moskau eine partielle Aufhebung der Sanktionen in Aussicht zu stellen.

So viel über die Interessenlagen der USA und von Russland. Wer wirklich für die Anschläge auf die Pipelines Nord Stream 1 und 2 verantwortlich ist, bleibt eine offene Frage.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Alexander Männer

ist ein kritischer Journalist, der für das Overton Magazin schreibt. Der-Demokratieblog stellt diesen von der Agentur pressenza verbreiteten Artikel zur Diskussion.

 

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