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Hinweis: Der nachfolgende Text erschien zunächst auf Infosperber.ch, einer Online-Zeitung aus der Schweiz. Auch Der-Demokratieblog bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum und unterstützt deshalb die Vielfalt alternativer Medien! Die Rechtschreibung dieses Artikels richtet sich nach der schweizerischen Schreibweise.

Die Angaben zu plötzlichen Todesfällen sind widersprüchlich

Statt endlich für zuverlässige Daten zu sorgen, kritteln deutsche Behörden und Politiker an einer Analyse herum.

31. Dezember 2022

von Martina Frei

Infosperber berichtete am 13.12.2022 über eine Auswertung von Krankenkassen-Daten, der zufolge es ab dem ersten Quartal 2021 zu einem starken Anstieg plötzlicher Todesfälle in Deutschland kam. Am Folgetag widersprach ein Forschungsinstitut. Das deutsche Statistische Bundesamt erklärte kurz darauf, es habe bei den plötzlichen Todesfällen keinen Anstieg gegeben. Doch viele Fragen werden nicht beantwortet und Widersprüche nicht aufgelöst. Chronologie einer schwierigen Wahrheitsfindung.

November 2020: Vor Beginn der Covid-Impfkampagne beteuern Fachleute und politische Parteien in Deutschland, dass «angesichts einer beschleunigten Entwicklung […] besonders strenge Anforderungen» an die Überwachung der Sicherheit der Impfstoffe zu stellen seien. Das jedenfalls schreiben die CDU/CSU- und die SPD-Fraktionen im Änderungsantrag für das «Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite». 

Seit 18. November 2020 verlangt das deutsche Infektionsschutzgesetz, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen Diagnosecodes und andere Informationen der Patienten an das «Paul-Ehrlich-Institut» (PEI) übermitteln müssen. Das PEI ist zuständig für die «aktive Überwachung der Impfstoffsicherheit» in Deutschland.

Januar 2021: Die Covid-Impfkampagne läuft an. Das PEI kündigt am 14.1.2021 vor den Medien an, dass es ab dem zweiten Quartal unter anderem «Studien auf Basis der elektronischen Gesundheitsdaten der gesetzlichen Krankenkassen» durchführen werde. Doch dies war ein leeres Versprechen. Denn nichts dergleichen geschieht.

Auch die deutsche Impfkommission STIKO – sie ist fürs Formulieren der Impfempfehlungen zuständig – mahnt «die Notwendigkeit zusätzlicher Analysen (z.B. von Krankenkassen-Daten) […] dringend an». Vergeblich.

Mai 2021: Mehrere Gesundheitsforscher raten dringend, die «verschiedenen Datentöpfe» in Deutschland miteinander zu verknüpfen. Bisher sammelt das Robert Koch-Institut (RKI) die Daten, wer, wann, wo mit welchem Impfstoff geimpft wurde. Dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) hingegen werden Verdachtsfälle von Nebenwirkungen gemeldet. Und die Krankenkassen wiederum wissen, wer, wann, wo wegen welcher Krankheit behandelt wird. Diese drei «Datentöpfe» werden aber nicht zusammengeführt. 

In der Schweiz läuft es ähnlich: Auch dort werden die Daten in verschiedenen Datentöpfen gesammelt. Das Bundesamt für Gesundheit erfährt zwar beispielsweise bei einer Covid-Infektion den Impfstatus, nicht aber bei anderen Erkrankungen.

Würden die Datentöpfe in Deutschland miteinander verknüpft, könnte man dort bei 73,4 Millionen gesetzlich Versicherten in anonymisierter Form nach auffälligen Mustern suchen, beispielsweise, ob sich längere Zeit nach der Impfung bestimmte Erkrankungen bei gewissen Personengruppen häufen. Solche «Mustererkennungen» haben in der Vergangenheit geholfen, Risiken zu erkennen, etwa zu den Nebenwirkungen bestimmter Antibiotika oder verunreinigter Blutdrucksenker. 

«Eine optimierte Transparenz über […] das Impfgeschehen sowie die positiven, aber auch unbeabsichtigten Wirkungen dürfte die Impfbereitschaft weiter erhöhen. Vertrauen in die Sicherheit der Impfung steigert die Impfbereitschaft», schreiben die Wissenschaftler in «Gesundheit und Gesellschaft». Trotzdem aber werden die «Datentöpfe» nicht verknüpft. 

Ende 2021: Einer anonymen Quelle zufolge übermitteln die Gesetzlichen Krankenkassen dem deutschen Gesundheitsministerium einen konkreten Vorschlag, wie die Impfdaten rasch und datenschutzkonform an die Krankenkassen übermittelt werden könnten. Die Krankenkassen könnten das Paul-Ehrlich-Institut dann mit Ergebnissen, basierend auf den verknüpften Daten, unterstützen. Aber die «Datentöpfe» werden weiterhin nicht verknüpft.

Februar 2022: Der Vorstand der BKK ProVita-Krankenkasse beanstandet gegenüber dem PEI öffentlich eine «sehr erhebliche Untererfassung von Verdachtsfällen für Impfnebenwirkungen». Das hätten die Analysen bei rund elf Millionen Versicherten der BKK Pro Vita ergeben (Infosperber berichtete). Der BKK ProVita-Vorstand wird entlassen.

März 2022: Das PEI teilt mit, es seien umfangreiche Vorarbeiten nötig, um die Daten der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) auszuwerten. Bei den KVen fliessen die ärztlichen Abrechnungen in Deutschland zusammen. Auf diesen Abrechnungen stehen bei jedem behandelten Patienten Diagnosecodes. «Das Paul-Ehrlich-Institut bereitet die Ansprache der KVen derzeit vor […]», schreibt das PEI am 31.3.2022.

April und Mai 2022: Ein AfD-Parlamentarier fragt zweimal nach dem Stand der Dinge. Die Antwort des Gesundheitsministeriums: «Nein, bislang fanden keine Gespräche der Kassenärztlichen Vereinigungen hinsichtlich der Datenübermittelung […] mit dem Paul-Ehrlich-Institut statt.» 

November 2022: Am 28.11.2022 schickt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV, der Dachverband der KVen) einem AfD-Abgeordneten auf Verlangen schliesslich die Diagnosecodes der Patienten1, die in den Jahren 2016 bis 2021 behandelt und von niedergelassenen Ärzten in Deutschland abgerechnet wurden. 

Nun macht sich der Datenanalyst Tom Lausen ans Werk. Lausen trug bereits früher in der Pandemie dazu bei, einen Schwindel mit – angeblich belegten – Intensivbetten in deutschen Spitälern aufzudecken. 

Dezember 2022: Am 12.12.2022 stellt Lausen einige Resultate seiner Analyse auf einer Medienkonferenz in Berlin vor. Er berichtet von einem jähen Anstieg plötzlicher, unerwarteter Todesfälle. Lausen zufolge nahm die Anzahl der plötzlichen Sterbefälle im ersten Quartal 2021 massiv zu und blieb seither auf diesem hohen Niveau (Infosperber berichtete). Der KBV seien diese Daten intern seit neun Monaten bekannt gewesen, schreibt Lausen auf der Website «corih.de»

Tote pro Quartal
Anfang 2021 kam es gemäss der Analyse von Tom Lausen zu einem plötzlichen Anstieg unerwarteter Todesfälle. Abgebildet sind in dieser Grafik die Diagnosecodes, auf welche auch die zuständige Behörde PEI bei der Überwachung der Impfstoffsicherheit ein erhöhtes Augenmerk richtet. © Tom Lausen

Organisiert wird diese Pressekonferenz von der AfD-Partei. Ihr Vertreter befürchtet, dass dieser Anstieg plötzlicher Todesfälle mit der Covid-Impfung zusammenhängen könnte und fordert das sofortige Aussetzen der Covid-Impfungen, bis der Sachverhalt geklärt ist. 

Infosperber kontaktiert die KBV, von der die Daten stammen, und stellt mehrere Fragen, welche die KBV aber nur teilweise beantwortet (siehe Box). 

Fragen von Infosperber und die (Nicht-)Antworten

  • Gibt es aus Sicht der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Erklärungen für die Zunahme von plötzlichen Todesfällen ab dem ersten Quartal 2021, wurden zum Beispiel Kodierungen oder Empfehlungen zum Kodieren gerändert oder anderes?
    Die KBV antwortet: «Aus Sicht der KBV handelt es sich bei der dargestellten Zunahme der Todesfälle grösstenteils um eine pandemiebedingte Übersterblichkeit. […] Ohne die Impfung wäre die Übersterblichkeit wahrscheinlich weit höher gewesen.» Auf die Frage zum Kodieren geht die KBV nicht ein.
  • Wie beurteilt die KBV die Analysen von Hrn Lausen?
    Die KBV gibt darauf keine Antwort.
  • Kann die KBV die Echtheit der an der Medienkonferenz gezeigten Rohdaten bestätigen?
    Die KBV gibt darauf keine Antwort.
  • Kam die KBV bei ihren eigenen Auswertungen zu denselben Schlüssen in Bezug auf die Häufigkeitszunahme plötzlicher Todesfälle? Wenn nein: Zu welchen Schlüssen kam sie?
    Die KBV gibt darauf keine Antwort.
  • Können Sie bestätigen oder dementieren, dass das PEI diese KBV-Daten nicht direkt von Ihnen erhalten hat? Falls Sie dies dementieren, könnten Sie bitte angeben, wann dem PEI welche Daten bekannt waren? Falls Sie es bestätigen: Warum erhielt das PEI diese Daten nicht, wo lag das Problem?
    Die KBV antwortet, «die technische Schnittstelle, die das Robert Koch-Institut (RKI) für diese Datenübermittlung bereitstellen muss, ist nach wie vor nicht im Regelbetrieb. Wir hatten dies mehrfach angemahnt. Allerdings hat das RKI eine Datenübermittlung über einen alternativen Weg bei den KVen angefragt. Auch wenn es hierzu keine gesetzliche Vorgabe gibt, wurde dies nach unseren Informationen von den KVen umgesetzt.»

Gleichentags gibt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) eine kurze Stellungnahme ab: Anhand der Abrechnungscodes lassen sich keine kausalen Zusammenhänge zwischen Covid-Impfungen und Todesfällen herstellen. Einen kausalen Zusammenhang hat Lausen an der Medienkonferenz allerdings nicht behauptet, sondern eine Abklärung gefordert. Dass es einen plötzlichen Anstieg an Todesfällen gibt, bestreitet die KBV in ihrer Stellungnahme nicht: «Aus Sicht der KBV handelt es sich bei der dargestellten Zunahme der Todesfälle grösstenteils um eine pandemiebedingte Übersterblichkeit.» 

Infosperber fragt nach: Was macht Sie sicher, dass die Covid-Impfungen nichts mit dem Anstieg an plötzlichen Todesfällen zu tun haben? 

Die KBV beantwortet diese Frage nicht. 

Einen Tag später, am 13.12.2022, veröffentlicht das «Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung»  (ZI) eine Stellungnahme und eine «wissenschaftliche Einordnung». Das ZI ist eine Stiftung, die von der KBV und den KVen getragen und finanziert wird und ihnen entsprechend nah steht. 

Anders als die KBV bestreitet das ZI die Zunahme an Todesfällen. Die Daten würden «keine Auffälligkeiten» in Bezug auf die plötzlichen Todesfälle zeigen, schreibt das ZI und präsentiert eine Grafik, um seine Aussage zu untermauern. Tatsächlich nehmen die plötzlichen Todesfälle dort nicht zu. Auf welche Grundgesamtheit sich die Prozentangaben in der y-Achse beziehen, teilt das ZI nicht mit. 

Ausserdem sei es nicht zulässig, aus Abrechnungsdaten der Krankenversicherung die Todesursachen abzuleiten. Denn die Codes seien Aussagen zu «Behandlungsanlässen» von Patientinnen und Patienten, aber nicht zu Todesursachen, berichtet «correctiv».

Der Widerspruch – die KBV bejaht eine plötzliche Zunahme von Todesfällen, das ZI sieht keine – wird weder von der KBV noch vom ZI aufgelöst. 

Das ZI sagt nun, Lausen habe nur die Daten von Patienten erhalten, die im Jahr 2021 beim Arzt waren. Bei den seltenen plötzlichen Todesfällen, die Lausen in den Vorjahren in dem KBV-Datensatz gefunden habe, «kann es sich […] nur um Fehler bei der Eingabe oder Übertragung handeln». Die beobachtete starke Zunahme plötzlicher Todesfälle sei also nur «eine logische Folge der Datenauswertung». 

Lausen erwidert: Erstens seien laut diesen KBV-Daten von 2016 bis 2020 über 100’000 Versicherte als plötzlich verstorben kodiert worden – die dann aber laut Leseart des ZI im Jahr 2021 angeblich wieder zum Arzt gegangen seien. Das wären über 100’000 fehlerhafte Eingaben, denn wer vom Arzt 2021 als plötzlich verstorben gemeldet wurde, kann nicht in den Jahren zuvor schon einmal plötzlich verstorben sein. Da könne ja wohl etwas nicht stimmen, gibt Lausen zu bedenken.

Zweitens habe der AfD-Abgeordnete den KBV-Datensatz für rund 72 Millionen Versicherte angefordert und nicht nur die Daten derjenigen, die 2021 beim Arzt waren. Die KBV hätte es mitteilen müssen, falls sie andere Daten als angefordert zustellte.

Konkrete Fragen von Infosperber beantwortet das ZI trotz mehrmaliger Nachfrage nicht.

Das ZI gibt Grunddaten ihrer Grafik nicht bekannt

ZI Grafik
Keinerlei Zunahme bei den Kodierungen für plötzlichen Todesfälle erkennbar. Mit dieser Grafik widerspricht das ZI dem Datenanalysten Tom Lausen. Allerdings fehlt die Angabe, auf welche Grundgesamtheit sich die Prozentangaben in der y-Achse beziehen. © Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland

Ein einfaches Rechenbeispiel zeigt, dass es entscheidend ist, die Grundgesamtheit zu kennen.

Angenommen, es wurden im Jahr 2020 ein plötzlicher Todesfall kodiert und 100 andere Diagnosecodes. Dann würden ein Prozent der Kodierungen auf plötzliche Todesfälle entfallen. 

Angenommen, im nächsten Jahr wurden 25 plötzliche Todesfälle kodiert und 5’000 andere Diagnosecodes, zum Beispiel, weil es sehr viele Covid-Erkrankungen gab. Dann würden 0,5 Prozent der Kodierungen auf plötzliche Todesfälle entfallen, obwohl ihre absolute Anzahl deutlich zugenommen hat. Ohne Kenntnis der Grundgesamtheit kann die Grafik des ZI also nicht interpretiert werden.

Völlig widersprüchliche Grafiken

Am 15.12.2022 erscheint in der «Welt» ein Artikel mit dem Titel «Die falschen Horrorzahlen der AfD». Die Autorin beruft sich auf das Wissenschaftliche Institut der Krankenkasse AOK, bei der rund 27 Millionen Menschen versichert sind. Hätte es einen dramatischen Anstieg an plötzlichen Todesfällen gegeben, müsste er auch bei diesen 27 Millionen AOK-Versicherten erkennbar sein. Doch da ist kein Anstieg, im Gegenteil: Die Anzahl der AOK-Versicherten, bei denen ein plötzlicher Tod kodiert wurde, sinkt im Jahr 2021.  

Grafik Wido Verstorbene unklare Todesursache
Bei den Versicherten der AOK-Krankenkasse ist kein Anstieg erkennbar. Dort werden zwei Diagnosecodes zusammengefasst abgebildet. © welt.de
Grafik Tom Lausen sonstige Todesursachen
Ganz anders sieht die Auswertung von Tom Lausen aus. Sie zeigt eine starke Zunahme. © Tom Lausen

«Von kriminellem Charakter»

Die «Welt» zitiert auch Thomas Voshaar, den Chefarzt des Lungenzentrums Moers und Vorsitzenden des Verbandes Pneumologischer Kliniken: Bei der gänzlich neuartigen mRNA-Impfung sei es ein Skandal, dass eine besonders aufmerksame Beobachtung von Wirkungen und Nebenwirkungen in Deutschland fehle, kritisiert er. «Noch schlimmer und eigentlich von kriminellem Charakter ist das Ignorieren von Daten. Oder sie gar nicht erst regelgerecht zu erheben.»

Am 16.12.2022 verschickt das PEI eine mehrseitige Information an Medien: Bei der Analyse von Lausen handle es sich um Fehlinterpretationen, welche «die Bevölkerung irreführen» würden. 

Das PEI habe zwar «frühzeitig» eine Studie mit den grossen Krankenkassen geplant, rechtfertigt es sich, allerdings sei es ihm erst «kürzlich gelungen», eine grosse Kasse dafür zu gewinnen. Der Vorschlag der Gesetzlichen Krankenkassen an das deutsche Gesundheitsministerium Ende 2021 wird vom PEI mit keinem Wort erwähnt.

Seit Ende Oktober sei die Datenübermittlung möglich

Da seit dem 25.10.2022 die «technischen Übermittlungsstandards» für den Datenaustausch vorliegen würden, könne das PEI nun auch den Datentransfer mit den Kassenärztlichen Vereinigungen «entwickeln», schreibt die Behörde.

Am gleichen Tag, an dem das PEI reagiert, wird das Thema im Deutschen Bundestag traktandiert. Das Ganze sei ganz einfach erklärbar: «Fehler im Datensatz», erläutert beispielsweise der SPD-Abgeordnete Matthias David Mieves. Sein SPD-Kollege Herbert Wollmann bezeichnet Lausen als «Datenverfälscher». Infosperber bittet Wollmann um nähere Informationen und Erklärungen für seinen schweren Vorwurf. Wollmann antwortet nicht. 

Die entscheidenden Unterlassungen

Die zentralen Punkte thematisieren weder Mieves noch etliche andere Redner der grossen Parteien: Warum harzt es weiterhin bei der Überwachung der Impfstoffsicherheit? Warum kommen die KBV und die KVen – mehr als zwei Jahre nach dem Gesetzesbeschluss – ihrer gesetzlichen Pflicht nicht nach und übermitteln ihre Daten dem PEI? Warum war es rund zwei Jahre lang nicht möglich, die «technische Schnittstelle» für die Datenübermittlung einzurichten und die «Datentöpfe» miteinander zu verknüpfen?

«Eine solche technische Schnittstelle zu schaffen, sollte kein Problem sein. So etwas ist schnell gemacht. Damit lässt sich die lange Verzögerung nicht erklären. Die Daten der KBV sind wichtig», sagt Huseyin Özoguz. Özoguz ist Diplom-Mathematiker und erklärt in einem Youtube-Video, was seine eigene Analyse ergab. 

Auf den ersten Blick plausible Daten

Er habe die inzwischen online erhältlichen KBV-Daten heruntergeladen und selbst nachgerechnet. Zuerst macht Özuguz mehrere «Plausibilitäts-Checks» und zeigt zum Beispiel, dass von 2016 bis Ende 2021 die Anzahl der Patienten, die wegen des Codes «Insektenbiss oder -stich» behandelt wurden, jeweils im zweiten und dritten Quartal ansteigt – also immer dann, wenn die meisten Stechinsekten aktiv sind. Im ersten und vierten Quartal dagegen wurden stets sehr wenig solche Diagnosen abgerechnet. 

Video Huseyin Özoguz Insektenstiche
Im zweiten und dritten Quartal stieg jedes Jahr die Anzahl der Patienten, bei denen Behandlungen wegen Insektenbissen und -stichen abgerechnet wurden. Die KBV-Daten können demnach «nicht so ganz unplausibel sein», sagt Özoguz, «wenn sie eine sehr stark saisonal abhängige Diagnose doch vernünftig und korrekt abbilden.» Ausschnitt aus seinem Video. © Huseyin Özoguz / Actuarium / youtube.com

«Das ist jedes Jahr so», stellt Özuguz fest. «Das ist ein sehr schöner Plausibilitätstest, weil er zeigt uns, aha, die Daten können nicht so ganz unplausibel sein, wenn die eine sehr stark saisonal abhängige Diagnose doch vernünftig und korrekt abbilden.» Auch weitere Plausibilitäts-Checks zu Diagnosen wie nachgewiesene Grippe, Herzinfarkt oder Erstickung seien plausibel. Insbesondere dieser letzte Code «Erstickung» gibt zu denken. Er widerspricht der Darstellung des ZI, es seien ausschliesslich Daten geliefert worden, die sich auf Patienten bezogen hätten, welche im Jahr 2021 behandelt wurden. Denn Patienten, die bereits in den Vorjahren als erstickt kodiert wurden, können im Jahr 2021 kein zweites Mal erstickt sein. Da das ZI auf wiederholte Medienanfragen nicht reagiert, kann auch dieser Punkt nicht mit dem ZI geklärt werden.

Video Huseyin Özoguz
Im Lauf der Jahre steigt in den KBV-Daten die Anzahl der Patienten, bei denen Ärzte den Code «Erstickung» abgerechnet haben. Hier ist kein sprunghafter Anstieg erkennbar. © Huseyin Özoguz / Actuarium / youtube.com

In der Kernfrage kommt Özuguz zu denselben Schlüssen wie Lausen: Die Anzahl der plötzlichen Todesfälle ist mit Beginn 2021 jäh gestiegen. Woran das liege, könne man aus den Daten nicht ablesen.

Video Huseyin Özoguz plötzlicher Tod
In der Kernfrage kommt Huseyin Özoguz zum gleichen Befund wie Tom Lausen: Die plötzlichen Todesfälle sind angestiegen. © Huseyin Özoguz / Actuarium / youtube.com

Das Statistische Bundesamt reagiert

Das deutsche Statistische Bundesamt dagegen stellt keinen Anstieg bei den plötzlichen Todesfällen fest. Es veröffentlicht am 16.12.2022 seine offizielle Todesursachenstatistik für 2021. Die Zahlen zu den plötzlichen Todesfällen sind komplett anders als die in den Analysen von Tom Lausen und Huseyin Özoguz – und sie haben sich seit 2019 nicht auffällig verändert.

Während Lausen und Özoguz für das Jahr 2021 beispielsweise von über 9’000 Verstorbenen beim Code «R96.0: Plötzlich eingetretener Tod» berichten, verzeichnet das Statistische Bundesamt lediglich 203 derart Verstorbene. Umgekehrt beim Code «R98: Tod ohne Anwesenheit anderer Personen»: Hier weisen Lausen und Özoguz rund 500 Fälle aus, das deutsche Bundesamt dagegen über 8’000. Und beim Code «I46.1: Plötzlicher Herztod, so beschrieben» kommt Lausen von 2019 bis 2021 in jedem Jahr auf deutlich mehr Verstorbene als die Behörde.

Codes der Sterbefälle Analyse von Tom Lausen anhand der
übermittelten KBV-Daten für das Jahr 2021
Todesursachenstatistik des deutschen Statistischen Bundesamts für das Jahr 2021 Todesursachenstatistik des deutschen Statistischen Bundesamts für das Jahr 2020 * Todesursachenstatistik des deutschen Statistischen Bundesamts für das Jahr 2019 *
I46.1 Plötzlicher Herztod, so beschrieben 2’872 1’091 1’019 1’157
R96.0 Plötzlich eingetretener Tod 9’809 203 199 173
R96.1 Todeseintritt innerhalb von weniger als 24 Stunden nach Beginn der Symptome, ohne anderweitige Angabe 4’663 9 7 11
R98 Tod ohne Anwesenheit anderer Personen 496 8’232 8’331 8’819
R99 Sonstige ungenau oder nicht näher bezeichnete Todesursachen 20’507 25’374 22’208 24’065
Gesamtzahl dieser Codes 38’347 34’909 31’764 34’225
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I46.9 Herzstillstand, nicht näher bezeichnet * 18’722
* Nach Veröffentlichung des Artikels noch ergänzt. Beim Code I46.9 weist das Statistische Bundesamt keine Sterbefälle mit diesem Code aus (Werte unter 3 werden nicht angegeben). Das ZI hat diesen Code in seiner Grafik (oben) berücksichtigt. Die Gesamtzahl aller Codes inklusive I46.9 beträgt 57’069 bei Lausen gegenüber 34’909 beim Stat. Bundesamt.

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Impfbehörde nennt andere Zahlen als Statistikbehörde

Auch ein Vergleich zwischen den Angaben des Statistischen Bundesamts und dem PEI wirft Fragen auf: Laut dem Bundesamt wurde im Jahr 2021 bei 255 verstorbenen Personen der Code «Komplikationen nach Impfung» angegeben. In den Jahren 2019 und 2020 erschien dieser Code gar nicht. 

Das PEI dagegen erhielt bis Ende 2021 bereits 2’255 Verdachtsmeldungen von tödlichen Covid-Impfnebenwirkungen. In 85 Fällen erachtete das PEI den Zusammenhang mit der Covid-Impfung für möglich oder wahrscheinlich. 

«Komplett falsch – oder gefälscht»?

«Wenn die Daten des Statistischen Bundesamt wahr sind, dann bleibt eigentlich nur eine Erklärung: Die KBV hat entweder komplett falsche Daten mit Hunderttausenden von Fehlern herausgegeben – oder die Daten sind gefälscht. Wir haben mit den KBV-Daten ein grosses Problem», sagt Özoguz. Das Einzige, was man im Moment aus dem Ganzen herauslesen könne, sei «dass man genauer hinschauen sollte».

Sofern man denn tatsächlich Genaueres wissen will.

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1  In dem Datenpaket enthalten waren die Daten von Versicherten, die gesetzlich krankenversichert waren. Privatversicherte fehlten. 


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Dr. Martina Frei

hat in Freiburg und München Medizin studiert. Acht Jahre lang arbeitete sie als Ärztin in Deutschland und der Schweiz. Später wechselte Frei auf die Ringier-Journalistenschule und arbeitet derzeit als Wissenschafts-Journalistin. Martina Frei ist die Autorin der Bücher „Das Mädchen mit den zwei Blutgruppen: Unglaubliche Fallgeschichten aus der Medizin“ sowie „Die Frau mit den 48 1/2 Krankheiten: Neue unglaubliche Fallgeschichten aus der Medizin“.

 

© der-demokratieblog.de | Dr. Elmar Widder