Bildquelle: Pixabay Image | Urheber: Mediamodifier

Hinweis: Der nachfolgende Text erschien zunächst auf Infosperber.ch, einer Online-Zeitung aus der Schweiz. Auch Der-Demokratieblog bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum und unterstützt deshalb die Vielfalt alternativer Medien! Die Rechtschreibung dieses Artikels richtet sich nach der schweizerischen Schreibweise.

So schweigt sich Europa geopolitisch in die 3. Liga

Donald Trump schiesst – und Europa schweigt. Noch gäbe es unmissverständliche Massnahmen, den USA die rote Karte zu zeigen.

11. Januar 2020

von Christian Müller

Die Ermordung Qasem Soleimanis durch die USA ist seit einer Woche das Thema in allen Medien. Und was ist zu hören und zu sehen? Alle sagen das gleiche: Nur keine weitere Eskalation!

Auffallend ist, dass auch in Europa weder die EU noch ein einzelnes Land es gewagt haben, den Mord an Soleimani klar zu verurteilen. Fast alle haben in ihren Stellungnahmen darauf hingewiesen, dass der Iran eben auch provoziert habe. Kaum jemand hat aber expressis verbis darauf aufmerksam gemacht, dass die bisherige Eskalation eine klare Folge davon ist, dass die USA das Atom-Abkommen mit dem Iran einseitig gekündigt haben, ohne jede Absprache mit Europa.

Mit diesem Schweige-Verhalten zeigt Europa einmal mehr, wie abhängig es von den USA bereits ist. Man pflegt nur noch zu sagen, dass man über die Situation nachdenken und gegebenenfalls darüber reden werde. Und dann – nichts. Und wieder nichts. Und wieder nichts. Geopolitisch haben sich die EU und die europäischen Länder damit selber in die 3. Liga hinunter manövriert. Aus Mangel an Selbstbewusstsein, aus Mangel an Mut, aus purer Angst, die USA könnten verärgert reagieren.

Die Realität, dass die USA in einem Land, in dem mehrere NATO-Partner im Einsatz sind, ohne jede Konsultation oder Absprache mit diesen NATO-Partnern einen Spitzenpolitiker eines anderen Landes, mit dem weder die USA selber noch die NATO in einem erklärten Krieg sind, mit einem ferngesteuerten Drohnen-Angriff umbringen, ist eine bewusste Provokation mit dem einkalkulierten Risiko, damit einen echten und grossen Krieg auszulösen. Es ist ein bewusster Schritt zur weiteren Eskalation. Das darf international nicht akzeptiert werden. Falls Europa auch nur einen kleinen Rest an Bereitschaft hat, eine eigene, nicht USA-hörige Politik zu betreiben, würden sich – unter anderem – die folgenden fünf Massnahmen aufdrängen:

1. Die Steuerung der Mörder-Drohne erfolgte mit grosser Wahrscheinlichkeit in der US-Militärbasis Ramstein im deutschen Bundesland Rheinland-Pfalz. Deutschland muss dazu von den USA eine klare Information verlangen. Gleichzeitig muss sie ankündigen, den Vertrag mit den USA, wonach US-Militärpersonal US-amerikanischem und nicht deutschem Recht untersteht, zum nächstmöglichen Termin zu kündigen. Beihilfe zu Mord, verübt aus einem Büro in Deutschland, darf nicht ungestraft bleiben. Siehe dazu auch hier.

2. Die NATO, die mit Soldaten mehrerer Mitgliedsländer im Irak im Einsatz ist, muss den USA klar machen, dass solche Alleingänge eines NATO-Mitglieds in einem gemeinsamen Einsatz-Land nicht akzeptiert werden können. Im sogenannten Nordatlantikvertrag vom 4.4.1949 steht im Artikel 1, also an wichtigster Stelle: «Die Parteien verpflichten sich, in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen, jeden internationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege so zu regeln, dass der internationale Friede, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden, und sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar sind.» Die Ermordung von Qasem Soleimani ist eine eklatante Verletzung der Bestimmungen in Artikel 1 des NATO-Vertrages. Deshalb müssen als Sofort-Massnahme und klares Signal die grossen NATO-Manöver im Frühling in Polen mit 20’000 zusätzlich eingeflogenen US-Soldaten kurzfristig abgesagt werden. Es darf nicht mit einem NATO-Mitglied trainiert werden, das statt den Frieden den Krieg sucht.

3. Italien muss den Hafen von Livorno, über den der US-Waffenumschlagplatz Camp Darby zwischen Pisa und Livorno bedient wird, für US-amerikanische Kriegsschiffe und -Transporter ohne Verzug schliessen, um die Zufuhr weiterer US-Waffen in den Nahen Osten und damit eine weitere Eskalation zumindest zu erschweren. Gleichzeitig müssen auch Waffenlieferungen aus Europa in die Krisenregion noch mehr eingeschränkt werden.

4. Die EU muss im Schnellverfahren zusätzliche Gelder zur Vollendung und Perfektionierung des satellitenbasierten Navigationssystems «Galileo» sprechen, um nicht mehr vom USA-beherrschten Navigationssystem GPS abhängig zu sein. Ein eigenes Navigationssystem mit eigenen Satelliten ist sowohl für die Luftfahrt wie auch für den Land-Transport, zivil wie auch militärisch unabdingbar.

5. Die Schweiz muss die beiden von US-Rüstungskonzernen angebotenen Kampfjets F/A-18 Super Hornet und F-35 aus der Evaluation für künftige Kampfjets für die Schweizer Luftwaffe per sofort streichen (sofern die Anschaffung neuer Kampfjets nicht ohnehin an der Urne ganz verhindert wird, was sinnvoll wäre). Es darf nicht sein, dass die Schweizer Armee technisch von einem Land abhängig ist, das seinerseits bereit ist, im Eigeninteresse grobfahrlässig einen Krieg vom Zaun zu reissen.

Seien wir realistisch: Wenn jetzt, nach der eher symbolischen «Rache» des Irans, kein Land irgend ein klares und spürbares Signal an die USA sendet, sind die USA, ist Trump einmal mehr der grosse Sieger. Dann ist der nächste Drohnen-Mord an einem Top-Politiker durch die USA programmiert und auch eine andere gigantische Provokation für einen Krieg bereits im Voraus abgesegnet.

Der Wilde Westen ist zurück. Der Sheriff mit dem Revolver entscheidet darüber, was Recht ist. Will Europa das wirklich mitmachen?

Dr. Christian Müller

ist Journalist und Redakteur in der Schweiz. Von 1979 bis 1988 war er Verlagsleiter, dann Chefredakteur bei den Luzerner Neusten Nachrichten. Von 2003 bis 2009 war Dr. Müller Chief Executive Officer der Vogt-Schild-Mediengruppe in Solothurn. Seit 2009 ist er wieder als freier Journalist tätig. Dr. Müller ist seit 2011 Mitglied der Redaktionsleitung der Schweizer Internet-Zeitung Infosperber.ch. Weiterhin ist er Präsident der Vereinigung Weltföderalisten Schweiz.

© der-demokratieblog.de | Dr. Elmar Widder