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Hinweis: Der nachfolgende Text erschien zunächst auf Infosperber.ch, einer Online-Zeitung aus der Schweiz. Auch Der-Demokratieblog bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum und unterstützt deshalb die Vielfalt alternativer Medien! Die Rechtschreibung dieses Artikels richtet sich nach der schweizerischen Schreibweise.
Weltweit bekannter Virologe fordert Forschungsstopp
«Die grosse Pandemie kommt», befürchtet der frühere CDC-Direktor und fordert ein Moratorium für die «gain of function»-Forschung.
11. April 2023
von Martina Frei
Die wahrscheinlichste Antwort auf die Frage, woher das Coronavirus stammt, ist: «Die Wissenschaft hat diese Pandemie verursacht.» Das sagte der Virologe Robert Redfield jüngst in einem Video-Interview mit «The Hill». Redfield leitete bis Januar 2021 die US-Gesundheitsbehörde «Centers for Disease Control and Prevention» (CDC) und war Mitglied der US-Coronavirus-Taskforce.
Seit über drei Jahren steht die Frage im Raum, ob die sogenannte «gain of function»-Forschung (GOF), bei der Mikroben absichtlich gefährlicher gemacht werden, zur Corona-Pandemie geführt hat. Redfield hält das für sehr viel plausibler als die Hypothese vom Virus, das von Tieren auf den Menschen übersprang.
Auch der neue Wissenschaftsleiter bei der WHO, Jeremy Farrar, schätzte die Wahrscheinlichkeit, dass Sars-CoV-2 einem Labor entkam, Ende Januar 2020 noch auf fifty:fifty. Andere Wissenschaftler befürchteten damals sogar, die Wahrscheinlichkeit sei 70:30 für einen Laborursprung. In einer eiligst einberufenen Videokonferenz tauschten sie sich zu Beginn der Pandemie mit Anthony Fauci und Francis Collins aus. Collins war bis Ende 2021 Direktor der «National Institutes of Health» (NIH), Fauci leitete unter diesem Dach ein grosses Institut namens NIAID (National Institute for Allergies and Infectious Diseases). Die USA, Collins und Fauci (aber auch Europa) förderten die «gain of function»-Forschung in Wuhan und andernorts finanziell.
«Ein Toter genügt und das Forschungsprogramm wird dicht gemacht»
Allein die Tatsache, dass es Wissenschaftler mit Einblick für möglich hielten, dass Sars-CoV-2 ein Laborprodukt war oder durch einen Laborunfall freigesetzt wurde, hätte zur öffentlichen Diskussion führen müssen, ob solche Forschung weiterhin stattfinden soll. Auf diesen Punkt wies kürzlich der Kolumnist David Wallace-Wells in der «New York Times» hin.
Doch anstatt diese Diskussion zu lancieren, verwendeten hochrangige Wissenschaftler Energie darauf, die Laborhypothese zu diskreditieren und die mediale Diskussion in Richtung «natürlicher Ursprung» zu lenken.
Forscher mit Interessenkonflikt
In E-Mails, die inzwischen bekannt sind, schrieb Francis Collins beispielsweise, die Hypothese vom Laborursprung könnte der Wissenschaft und der internationalen Harmonie potenziell schwer schaden. Das gleiche befürchten wohl auch jene Forscher, die mit der «gain of function»-Forschung Karriere machen.
«Ein Toter genügt und das Forschungsprogramm wird dicht gemacht und ich werde hinausgeworfen», habe der Direktor eines australischen Forschungsinstituts einmal gesagt. Das berichtete der weltweit bekannte Mikrobiologe Simon Wain-Hobson auf «the microbiologist».
Falls sich eindeutig erweisen würde, dass Sars-CoV-2 kein natürlich entstandenes Virus ist, müsste die weltweite «gain of function»- Forschungsgemeinde folglich mit grossen Schwierigkeiten rechnen.
Der niederländische Virologe Ron Fouchier kann davon ein Lied singen. Mit seiner Forschung sorgte er im Jahr 2011 für grossen Aufruhr. Fouchier erschuf – in seinen Worten – «wahrscheinlich eines der gefährlichsten Viren, die man machen kann» – ein H5N1-Vogelgrippe-Virus, das über die Luft von Frettchen zu Frettchen übertragbar ist. Grippeviren, die sich unter Frettchen verbreiten, werden im Allgemeinen auch von Mensch zu Mensch weitergegeben. Wenn diese neuen Viren jemals freigesetzt würden, könnten sie eine Pandemie unter Menschen verursachen, erläuterte Wain-Hobson im «Bulletin of the Atomic Scientists». Fouchiers Experimente lösten deshalb weltweit Diskussionen aus und wurden zeitweilig gestoppt.
Barack Obama erliess ein Moratorium
Der frühere US-Präsident Barack Obama erliess in der Folge ein Forschungsmoratorium für die «gain of function»-Forschung, ein Entscheid, dem auch mehrere Laborunfälle vorausgingen. So wurden zum Beispiel einmal anstelle von angeforderten, harmlosen Grippeviren versehentlich tödliche Vogelgrippe-Viren von einem Labor zu einem anderen verschickt, berichtete 2014 die «New York Times«.
Fouchier dagegen stufte die potenziellen Risiken der «gain-of-function»-Forschung, bei der Mikroben oder Organismen absichtlich gefährlicher gemacht werden, als klein ein. Mittlerweile wurde bekannt, dass sich Fouchier zu Beginn der Pandemie im Hintergrund daran beteiligte, dass die Medien bei Sars-CoV-2 die Laborhypothese über lange Zeit als unwahrscheinlich abtaten (Infosperber berichtete). Dazu trugen massgeblich zwei Leserbriefe in den als renommiert geltenden Fachzeitschriften «Nature Medicine» und «The Lancet» bei. In «The Lancet» schrieben der neue Wissenschaftsleiter bei der WHO, Jeremy Farrar, der deutsche Virologe Christian Drosten und weitere Wissenschaftler am 19. Februar 2020, sie verurteilten aufs schärfste Verschwörungstheorien, denen zufolge Sars-CoV-2 keinen natürlichen Ursprung hätte. Interessenskonflikte bestünden nicht, gaben sie dort an.
Unterdrückte öffentliche Debatte
Die eindeutige Sprache in beiden Leserbriefen «scheine die Debatte, woher das Pandemievirus stammt, sicher unterdrückt zu haben», befand David Wallace-Wells in der «New York Times» und fragte: «Wäre es nicht besser gewesen, selbst auf eine kleine Wahrscheinlichkeit eines Laborursprungs zu reagieren, indem man einfach sagt: ‹Lasst uns alles tun, was wir können, um sicherzustellen, dass so etwas in Zukunft nicht passiert›? Oder zumindest alles in unserer Macht Stehende in Bezug auf Aufsicht und Regulierung zu tun, damit wir beim nächsten Mal wirklich sicher wüssten, was Sache ist?»
Doch die Frage, ob solche Forschung von öffentlichem Interesse ist, blieb und bleibt in der medialen Diskussion um die Herkunft des Pandemievirus unangetastet – obwohl über drei Jahre nach Beginn der Pandemie, unzähligen Toten und Kranken noch immer die Frage im Raum steht, ob die «gain of function»-Forschung dies alles womöglich verursacht hat. In der Lage dazu wäre sie, und sie könnte sogar noch viel Schlimmeres anrichten.
David Wallace-Wells nennt einige Zahlen: Seit 2010 habe sich die Anzahl der Hochsicherheitslabore (BSL-4) weltweit mehr als verdoppelt. Es gibt keine offizielle Übersicht, geschweige denn Aufsicht über diese Labors. Dazu kommt eine ungewisse Anzahl von BSL-2 und schätzungsweise 1500 BSL-3-Labore, in denen ebenfalls «potenziell gefährliche» Arbeit gemacht werden könnte (auch wenn viele davon einfach nur als Spitalllabor oder ähnlich zivilen Zwecken dienen würden). Plus die sogenannten BSL-3+-Labore, die laut einem kritischen Wissenschaftler «fast komplett unreguliert» seien. Viele Länder hätten praktisch «Null Übersicht».
«Die Crux ist, dass sich ein pandemischer Virusstamm nicht vorhersagen lässt»
Begründet wird die «gain of function»-Forschung unter anderem damit, dass die Wissenschaft so künftige Entwicklungen von Viren besser voraussagen und Impfungen oder Medikamente dagegen entwickeln könne. Doch die aktuell grassierenden Vogelgrippe-Viren scheinen sich bisher anders zu entwickeln als von den Forschenden erwartet, schreibt Wallace-Wells. Auch von der Omikron-Virusvariante bei Sars-CoV-2 wurden die Wissenschaftler bekanntermassen überrascht.
Die «gain of function»-Forschung werde ihr Versprechen, die nächste Grippe-Pandemie vorherzusagen, nie erfüllen können, und sie mache die Welt zu einem gefährlicheren Ort, ist Simon Wain-Hobson überzeugt. «Die Crux ist, dass sich ein pandemischer Virusstamm nicht vorhersagen lässt – und damit ist der propagierte Nutzen [der «gain of function»-Forschung – Anm. d. Red.] hinfällig», argumentierte der emeritierte Professor am Pasteur Institut in Paris im November 2022 auf «the-microbiologist.com» und fuhr fort: Wir könnten niemals feststellen, wozu diese künstlich hergestellten Viren fähig seien, weil Tiermodelle von begrenztem Vorhersagewert für menschliche Infektionen seien und eine experimentelle Infektion von Menschen mit solchen Viren nicht in Frage komme. «Trotzdem ist die «gain of function»-Virologie auf dem Vormarsch», so Wain-Hobson.
Bei dieser Forschung gehe es jedoch nicht nur um Viren, die einen Menschen nach dem anderen dahinraffen würden, so Wain-Hobson. Sondern auch um Viren, die zum Beispiel etwa so Wichtiges wie Reispflanzen befallen könnten.
Immer wieder hätten ihm Menschen gesagt: «Warum soll man neue und für Menschen gefährliche Viren herstellen? Wissenschaftler sollten keinen Schaden anrichten.»
«Wir brauchen dringend eine weit offenere Diskussion vor dem nächsten unvermeidbaren Unfall», verlangt Wain-Hobson, und damit steht er nicht allein.
Redfield zeichnet ein Schreckensszenario
Der frühere CDC-Direktor Robert Redfield spricht sich sogar für ein Moratorium der «gain of function»-Forschung aus und glaubt: «Die grosse Pandemie kommt.» Im Interview mit «The Hill» zeichnete er das Schreckensszenario einer kommenden Vogelgrippe-Pandemie. Nach Redfields Einschätzung werde diese kommende Pandemie nicht dadurch losgetreten, dass das Virus vom Tier auf den Menschen überspringe, sondern durch die «gain of function»-Forschung oder durch absichtlichen Bioterrorismus. Es brauche eine öffentliche Diskussion, ob die «gain of function»-Forschung von der Bevölkerung gewünscht werde und wenn ja, wie sie sicher und verantwortungsvoll stattfinden könnte.
Doch diese Diskussion findet auch nach über dreijährigem Rätselraten, woher Sars-CoV-2 stammt, in der breiten Öffentlichkeit nicht statt.
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➞ Der frühere CDC-Direktor Robert Redfield machte weitere brisante Aussagen. Mehr dazu in diesem Artikel auf Infosperber: «Pro und Contra Laborhypothese: Der Kampf um die Deutungshoheit»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Dr. Martina Frei
… hat in Freiburg und München Medizin studiert. Acht Jahre lang arbeitete sie als Ärztin in Deutschland und der Schweiz. Später wechselte Frei auf die Ringier-Journalistenschule und arbeitet derzeit als Wissenschafts-Journalistin. Martina Frei ist die Autorin der Bücher „Das Mädchen mit den zwei Blutgruppen: Unglaubliche Fallgeschichten aus der Medizin“ sowie „Die Frau mit den 48 1/2 Krankheiten: Neue unglaubliche Fallgeschichten aus der Medizin“.
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