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Hinweis: Der nachfolgende Text erschien zunächst auf Infosperber.ch, einer Online-Zeitung aus der Schweiz. Auch Der-Demokratieblog bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum und unterstützt deshalb die Vielfalt alternativer Medien! Die Rechtschreibung dieses Artikels richtet sich nach der schweizerischen Schreibweise.

Bidens Verbalattacke kann das Kriegs-Elend nur verlängern

Anstatt einen sofortigen Kriegs-Stopp vorzuschlagen, bei dem Putin das Gesicht wahren könnte, goss der US-Präsident Öl ins Feuer.

27. März 2022

von Urs. P. Gasche

220327 NYT Titel Biden
Schlagzeile in der «New York Times» am 26. März 2022 © NYT

«Putin darf nicht an der Macht bleiben», rief der US-Präsident am 26. März in Polen aus. Er las die Rede bis zum Schluss von zwei Prompter-Bildschirmen ab. Es habe sich um eine «Grundsatzrede» gehandelt, meldeten Medien von der ARD bis zur NZZ. 

Kurz darauf versuchte das Weisse Haus zu beschwichtigen: Biden fordere keinen Machtwechsel in Russland. Es solle dem Diktator nur nicht gestattet sein, Macht über andere Länder auszuüben. In der Schweiz informierten «NZZ am Sonntag» und «Sonntags-Zeitung» über diese Aussage Bidens nur am Rande. 

Doch der Schaden ist angerichtet und er besteht nicht nur in diesem einen Satz. Der US-Präsident hat die Chance nicht genutzt, um Putin einen sofortigen Waffenstillstand und eine Friedenslösung anzubieten – zu Bedingungen, bei denen Putin sein Gesicht wahren kann. Beispielsweise keinen Nato-Beitritt der Ukraine, keine schweren Waffen mehr in der Ukraine und Verhandlungen über gegenseitige Sicherheitsgarantien. Die betroffene Bevölkerung würde solche Konzessionen heute wohl noch so gerne akzeptieren, wenn das Grauen des Krieges ein Ende hätte.

Doch Biden ging auf Konfrontation und schlug eine Verhandlungslösung nicht einmal vor. Vielmehr stimmte er die Europäer und US-Amerikaner auf ein weiteres Kriegsgeschehen ein: «Wir müssen es klar sehen: Diese Schlacht wird nicht in Tagen geschlagen werden oder in Monaten. Wir müssen uns für einen langen Kampf stählen.»

Als Tatsachen kann man festhalten: Die mächtige Rüstungslobby profitiert, wenn Kriege lange dauern. Und geopolitische Strategen sind interessiert daran, dass ein Krieg Russland schwächt und dass in Russland Machtkämpfe ausbrechen. Über der Seite «Geld» setzte die «Sonntags-Zeitung» am 27. März den grossen Titel: «Rüstungsaktien sind plötzlich wieder salonfähig und gesucht.»

Falls Putin wirklich unberechenbar ist

Falls die Einschätzung nicht aus der Schublade der Kriegspropaganda stammt, sondern Putin tatsächlich ein skrupelloser, faschistoider, psychopathischer Diktator und nicht mehr ganz bei Sinnen ist, dann wäre der Aufruf des US-Präsidenten, Putin zu entfernen, eine hochriskante und unverantwortliche Provokation. Denn Putin sitzt am Hebel von etwa 6000 Atomsprengköpfen. 

Falls Putin wirklich bereit ist – und diese Warnung nicht aus der Schublade der Kriegspropaganda stammt –, sowohl biologisch-chemische als auch atomare Waffen einzusetzen, dann hat Bidens Rede dieses Risiko nur erhöht.

«Ein schwaches, gedemütigtes Russland ist schlimmer als ein starkes Russland unter Putin»

Sollte der Krieg in der Ukraine zu einem Dauerkrieg werden und zusammen mit den drastischen Sanktionen des Westens zum Kollaps Russlands führen, wäre dies das «schlimmstmögliche Szenario», sagt New York Times-Kolumnist Thomas L. Friedman. «Ein schwaches, gedemütigtes und desorganisiertes Russland, in dem Machtkämpfe zwischen verschiedenen Fraktionen stattfinden, könnte den ganzen Planeten durchschütteln. Man denke nur an die etwa 6000 Atombomben, Cyberkriminellen und Bohrlöcher für Erdgas und Erdöl.»

Der Stärkere soll nachgeben

Putin muss das Gesicht wahren können, damit es eine Chance gibt, in der Ukraine verheerende Strassenkämpfe in Städten zu vermeiden und weitere Zerstörungen mit all ihren Folgen sofort zu stoppen. «Der Stärkere soll nachgeben und ein Friedensangebot machen.» Als die weitaus stärkere Seite kann der Westen einen wichtigen Schritt entgegenkommen, ohne die Sicherheit Europas und der Ukraine zu gefährden: Die Ukraine kann ein neutrales Land werden, das weder einem Bündnis angehört noch schwere Waffen auf seinem Territorium duldet. Ein solches Angebot an Russland, verbunden mit einem sofortigen Waffenstillstand, wäre längst fällig. Ob es den Krieg beenden würde, ist nicht sicher. Aber Putin sähe eine wichtige Forderung erfüllt und könnte sein Gesicht wahren.

Die Nato kann beispielsweise einen Beitritt der Ukraine in den nächsten dreissig Jahren ausschliessen. Das ist eine zumutbare Konzession, wenn es darum geht, die Not und das Elend dieses Krieges zu stoppen. Mehr noch: Es wäre lediglich der Verzicht auf einen Wunsch der Ukraine, der in absehbarer Zeit ohnehin nicht durchgesetzt werden kann. Ukraines Präsident Selensky liess seit Kriegsbeginn bereits mehrmals durchblicken, dass er damit einverstanden wäre. Doch die Nato schweigt. In Polen deutete US-Präsident Biden nicht einmal an, er sei für einen Frieden verhandlungsbereit. Im Gegenteil: Es gehe jetzt um eine «grosse Schlacht zwischen Demokratie und Autokratie, zwischen Freiheit und Unterdrückung, zwischen einer regelbasierten Ordnung und einer, die von brutaler Gewalt bestimmt wird».

Am Ende der Rede von US-Präsident Joe Biden: «Dieser Mann darf nicht an der Macht bleiben»

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Urs P. Gasche

ist Redakteur der Online-Zeitung Infosperber.ch. Der Infosperber konkurriert nicht mit großen Medienportalen, er ergänzt sie. Die Plattform hat sich als Ziel gesetzt, allein nach gesellschaftlicher oder politischer Relevanz zu gewichten. Der Infosperber sieht, was andere übersehen.

© der-demokratieblog.de | Dr. Elmar Widder