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Hinweis: Der nachfolgende Text erschien zunächst auf Infosperber.ch, einer journalistischen Online-Zeitung aus der Schweiz. Auch Der-Demokratieblog bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum und unterstützt deshalb die Vielfalt alternativer Medien! Die Rechtschreibung dieses Artikels richtet sich nach den schweizerischen Regeln.

Corona: Die Zahlen sprechen für eine weitere Lockerung

Die Intensivstationen sind halbleer. Das Virus verbreitet sich nur noch langsam. Das Risiko einer neuen grossen Welle ist gering.

22. April 2020

von Urs P. Gasche

Eines steht fest: Grossveranstaltungen und grosse Menschenansammlungen wurden viel zu spät verboten. Von solchen aus konnte sich das leicht ansteckbare Virus exponentiell verbreiten. Ein viel früheres Verbot von Grossveranstaltungen sowie eine frühere Informationskampagne zum Händewaschen und zur körperlichen Distanz («Physical Distancing») hätte wahrscheinlich verhindert, dass Intensivstationen je in Gefahr kamen, überlastet zu sein und nicht mehr alle Schwerkranken behandeln zu können.

Je mehr Tests gemacht wurden, desto schneller stieg die irreführende Kurve der «bestätigten Fallzahlen». Dazu kamen Meldungen von überlasteten Spitälern in Italien. Darauf mussten die Behörden reagieren mit drastischen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Ladenschliessungen und mit dem Verbot vieler wirtschaftlicher Tätigkeiten. Diese folgenschweren Einschränkungen begründeten die Behörden Mitte März mit zwei überzeugenden Argumenten:

  1. Es drohe eine Überlastung der Intensivstationen in Spitälern. Dort fehlten namentlich Betten und Beatmungsmaschinen.
  2. Das Verbreiten des Virus müsse so stark verhindert werden, bis eine einzige angesteckte Person höchstens noch eine weitere ansteckt («Die Reproduktionszahl muss unter 1 fallen»).

Das Ziel der Massnahmen ist erreicht

Unterdessen sind diese beiden Ziele erreicht:

Intensivstationen in Spitälern stehen zu zwei Dritteln leer. Ab nächster Woche dürfen sie deshalb aufgeschobene andere Operationen wieder durchführen, von denen ein Teil Intensivbehandlungen nötig machen.

Schon seit über vier Wochen hat sich die Verbreitung des Virus so stark verlangsamt, dass ein Angesteckter durchschnittlich weniger als eine andere Person ansteckt. Dies gilt für die Schweiz und für Deutschland. Der Tages-Anzeiger hat entsprechende Zahlen der ETH Zürich bereits am 11. April veröffentlicht. Mit einer anderen Methode als die ETH kam auch Epidemiologe Christian Althaus von der Universität Bern schon damals zum Schluss, dass die Reproduktionszahl unter 1 liegt.

Am 21. April hat das Schweizer Fernsehen über folgende aktualisierte Grafik der ETH Zürich informiert:

Am 17. April hat das deutsche Robert Koch-Institut folgende Grafik über die Entwicklung der Reproduktionszahl veröffentlicht

Aus beiden Grafiken geht hervor, dass die Zahl der Ansteckungen bereits vor den Lockdown-Massnahmen rapide zurückging. Der Aufruf zu Hygienemassnahmen sowie das Verbot von Grossveranstaltungen und grossen Menschenansammlungen sind hauptverantwortlich dafür, dass sich die Epidemie stark eindämmte, und dass unsere Spitäler alle Patientinnen und Patienten, welche dies wünschten, auch künstlich beatmen konnten.

Keine Gefahr einer neuen grossen Welle

Die beiden oben genannten Gründe für den notrechtlich verfügten Stillstand der halben Wirtschaft und für die drastischen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit sind jetzt nicht mehr vorhanden. Trotzdem wollen die Behörden die verhängten Massnahmen nur sehr zögerlich und vorsichtig lockern. Das begründen sie mit einem neuen Argument: Es müsse unter allen Umständen verhindert werden, dass eine neue Corona-Welle ausbreche, die es dann erneut nötig mache, Teile der Wirtschaft lahmzulegen.

Doch ein solches Szenario ist praktisch ausgeschlossen, mindestens solange Grossveranstaltungen verboten bleiben und Hygiene- und Abstandsregeln einigermassen eingehalten werden. Das zeigen die klaren Trends in den obigen Grafiken deutlich.

Das Virus wird sich zwar – so oder so – weiter verbreiten, jedoch langsamer. Vieles spricht dafür, wirtschaftliche Tätigkeiten überall dort wieder generell zu erlauben, wo klare Vorschriften zum «Physical Distancing» eingehalten werden können. Beispiel Restaurants: Die Behörden können wie für andere Betriebe möglichst klar vorschreiben, welche Regeln im Publikumsbereich und im Produktionsbereich eingehalten werden müssen. Jeder Betrieb kann dann selber entscheiden, ob sich eine Wiedereröffnung unter diesen Umständen lohnt oder nicht. Für Zuwiderhandlungen muss die Verordnung hohe Bussen vorschreiben, damit sich die Behörden bei Kontrollen auf Stichproben beschränken können.

Öffentlichkeit hat ein Recht auf Informationen

Der Staat hat Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger mit guten Gründen vorübergehend ausser Kraft gesetzt. Wenn er dies weiterhin tut, darf er dies in einer Demokratie nur, wenn er volle Transparenz schafft über seine Entscheidungsgrundlagen. Am 31. März ernannte der Bundesrat ein Beratungsgremium mit Experten aus der Wissenschaft, darunter Epidemiologen, Virologen, Infektiologen sowie eine Ökonomin. Doch die laufenden substanziellen Stellungnahmen dieser «Swiss National COVID-19 Science Task Force» hält der Bundesrat unter Verschluss. Für diese autoritär verordnete Geheimhaltungspolitik können die Behörden weder Geschäfts- oder Amtsgeheimnisse noch Persönlichkeitsrechte geltend machen. Die Öffentlichkeit muss wissen, was wichtige Entscheidungsgrundlagen des Bundesrats sind und welche allfälligen Empfehlungen er übernimmt und welche nicht.

Eine Transparenz wäre umso mehr geboten, als der Bundesrat es unterlässt, die gesundheitlichen Risiken von Covid-19 mit ebenfalls gesundheitlichen Risiken des Lockdowns und eines möglichen Wirtschafts- und Finanzcrashs zu vergleichen und einzuschätzen. Bei einer solchen Abschätzung der Risiken gäbe es wohl ebenfalls mehrere Szenarien, die öffentlich zu diskutieren wären.

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Infosperber-DOSSIER:

Coronavirus: Information statt Panik

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Urs P. Gasche

ist Redakteur der Online-Zeitung Infosperber.ch. Der Infosperber konkurriert nicht mit großen Medienportalen, er ergänzt sie. Die Plattform hat sich als Ziel gesetzt, allein nach gesellschaftlicher oder politischer Relevanz zu gewichten. Der Infosperber sieht, was andere übersehen.

 

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