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Hinweis: Der nachfolgende Text erschien zunächst auf Infosperber.ch, einer Online-Zeitung aus der Schweiz. Auch Der-Demokratieblog bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum und unterstützt deshalb die Vielfalt alternativer Medien! Die Rechtschreibung dieses Artikels richtet sich nach der schweizerischen Schreibweise.

«Die Taiwan-Politik der USA erhöht das Risiko eines Weltkriegs»

Der Westen sollte an der Fiktion der «Ein-China-Politik» festhalten, warnt Politologie-Professor Peter Beinart.

03. Juli 2021

von Urs P. Gasche

Im Stillen unternehmen die USA Schritte, die Beziehungen zu Taiwan zu «normalisieren». Im letzten Sommer löschten die Demokraten die Bezeichnung «Ein-China» von ihrer Plattform, im Januar war ein Vertreter Taiwans zum ersten Mal zu einer Inauguration eines US-Präsidenten eingeladen. Im April kündigte die Administration von Joe Biden an, die jahrzehntealten Beschränkungen der Kontakte zwischen der US-Administration und der taiwanesischen Regierung zu lockern. 

«Diese Politik erhöht das Risiko eines katastrophalen Krieges», erklärt Peter Beinart, Professor der politischen Wissenschaften von der City University in New York. In der «New York Times» fordert er Biden auf, Taiwan weiterhin militärisch zu unterstützen, jedoch an der jahrzehntelangen «Ein-China-Doktrin» festzuhalten. Diese «Fiktion» habe sich bewährt und den beiden Grossmächten USA und China erlaubt, ihr Gesicht zu wahren. Die «Ein-China-Politik» trage in einer der gefährlichsten Regionen der Welt seit Jahrzehnten dazu bei, Frieden zu bewahren.

Die Ein-China-Fiktion

Die Ein-China-Politik, eine Prämisse und Fiktion, die im Kalten Krieg entstanden ist, geht davon aus, dass es nur ein China gibt. Alle Staaten, die mit der Volksrepublik China diplomatische Beziehungen aufnehmen möchten, müssen dies anerkennen und dürfen deshalb nicht gleichzeitig mit Taiwan diplomatische Beziehungen aufnehmen.

Diese Politik ist deshalb Fiktion, weil es sehr wohl noch die Republik China gibt. Sie umfasst Taiwan und einige Inseln. Doch diese unabhängige Republik wird nur von ganz wenigen Ländern auf der Welt anerkannt. «Indem die USA ihre Beziehungen zu Taiwan nicht offiziell gestalten, kann China daran festhalten, dass eine friedliche Wiedervereinigung möglich ist. Und es gibt China einen Grund, nicht militärisch zu intervenieren», sagt Beinart. 

Eine militärische Intervention sei mehr als eine theoretische Möglichkeit, denn in China besagt seit 2005 ein Gesetz, dass eine Unabhängigkeitserklärung von Taiwan ein Kriegsgrund wäre. Offiziell sagen die USA nicht, wie sie im Fall eines Einmarsches der Volksrepublik in Taiwan reagieren würden. Es gibt Rufe nach formelleren Zusicherungen. 

Genau das kritisiert Beinart. Seine Kernaussage: 

«Unabhängig davon, ob die USA offiziell versprechen, Taiwan zu verteidigen: Es ist äusserst leichtsinnig zu glauben, dass die USA Beijing provozieren können, indem sie die Ein-China-Politik rückgängig machen und gleichzeitig drohen, ein Eingreifen Chinas militärisch zu verhindern.»

Peter Beinart in der New York Times

Leichtsinniges Abweichen von der Ein-China-Politik

Leichtsinnig wäre das Abweichen von der «Ein-China-Politik» deshalb, weil jede glaubwürde Abschreckung sowohl der Macht wie des Willens bedarf. Und bei beiden gebe es Fragezeichen. 

  • Das chinesische Festland ist 180 Kilometer von Taiwan entfernt, während Honolulu 8000 Kilomenter entfernt ist. US-Flugzeugträger sind vom nahen Festland aus relativ leicht angreifbar.  
  • Während die Volksrepublik im Rahmen der sino-amerikanischen Beziehungen Taiwan klar als Problem Nummer eins betrachtet, mag das Washingtoner Establishment zwar einen Kriegseintritt der USA an der Seite Taiwans befürworten, im Land selbst ist aber eine weit verbreitete Skepsis zu spüren. 

An der Ein-China-Politik festhalten bedeute nicht, Taiwan fallenzulassen. Das Land ist ein demokratisches Lehrbeispiel und die Beziehungen zum Westen allgemein und zu den USA im Besonderen sind eng. Doch als kleines Land im Schatten einer Supermacht verfüge Taiwan nur über einen geringen aussenpolitischen Spielraum. «Die USA würden Mexiko auch nie erlauben, eine Militärallianz mit Peking einzugehen», illustriert Beinart den Sachverhalt.  

Taiwan diente mit Hilfe der USA als Rückzugsort

Die «Ein-China-Politik» hat eine Geschichte. Im Jahr 1682 hatte die von den Mandschuren gegründete Qing-Dynastie die Insel Taiwan zum ersten Mal unter die Kontrolle des Festlandes gebracht. 1912 wurde in China eine Republik ausgerufen. Nachdem 1949 die Kommunisten unter der Führung von Mao Zedong nach der japanischen Besetzung China einigten und unter ihre Gewalt brachten, zog sich Chiang Kai-Shek mit seinen Anhängern und der Hilfe der USA nach Taiwan zurück.

Seither stellte sich die Volksrepublik stets auf den Standpunkt, dass Taiwan als abtrünnige Provinz zu China gehöre, und versucht, die Ein-China-Politik international durchzusetzen. 

Immer mehr Staaten – die Schweiz schon 1950 – brachen die offiziellen Beziehungen zu Taiwan ab und anerkannten die Volksrepublik. 1971 ging die chinesische UNO-Mitgliedschaft von der Republik China (Taiwan) an die Volksrepublik über. 1979 brachen die USA ihre diplomatischen Beziehungen mit Taiwan ab und nahmen offizielle Beziehungen zur Volksrepublik auf. 

Doch in der Praxis wird der taiwanesische Pass allgemein anerkannt, Wirtschafts- und Kulturbüros von Taiwan arbeiten in aller Welt wie Botschaften und stellen die internationale Vernetzung sicher. Die militärische Zusammenarbeit mit den USA ist eng. 

Die Ein-China-Politik ist somit eine Fiktion, ein diplomatisches «So-tun-als-ob». Aber diese Fiktion sei sehr wirkungsvoll, sagt Beinart. Sie habe Taiwan Frieden, individuelle Freiheit und Prosperität gebracht. China andererseits könne an der Vorstellung festhalten, dass Taiwan ein Teil Chinas sei. Würde der Westen Taiwan offiziell als unabhängiges Land anerkennen, wäre dies für Beijing ein Kriegsgrund. Deshalb solle Biden von seiner «äusserst unbesonnenen» Taiwan-Politik Abstand nehmen.

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Mitarbeit: Daniel Funk


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Urs P. Gasche

ist Redakteur der Online-Zeitung Infosperber.ch. Der Infosperber konkurriert nicht mit großen Medienportalen, er ergänzt sie. Die Plattform hat sich als Ziel gesetzt, allein nach gesellschaftlicher oder politischer Relevanz zu gewichten. Der Infosperber sieht, was andere übersehen.

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