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Hinweis: Der nachfolgende Text erschien zunächst auf Infosperber.ch, einer Online-Zeitung aus der Schweiz. Auch Der-Demokratieblog bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum und unterstützt deshalb die Vielfalt alternativer Medien! Die Rechtschreibung dieses Artikels richtet sich nach der schweizerischen Schreibweise.

Konzerne gefährden die Demokratie stärker als «zu viel Staat»

In der Ukraine hebeln Pharmakonzerne das Antikorruptionsgesetz aus. In Australien setzen Google und Facebook das Parlament unter Druck.

29. Januar 2021

von Urs P. Gasche

Viele Liberale sehen in «zu viel Staat» die grösste Gefahr für die Demokratie und für eine transparente Marktwirtschaft mit Wettbewerb.

Viele konservative SVP-Politiker betrachten den Europäischen Gerichtshof als grosse Gefahr für die Unabhängigkeit der Schweiz.

Beide übersehen geflissentlich, dass grosse internationale Konzerne die Unabhängigkeit der Länder heute viel stärker begrenzen, Staaten gegeneinander ausspielen und mit ihren finanziellen Mitteln viele nationale und internationale Organisationen, Forschungseinrichtungen und Universitäten in ihre Abhängigkeit bringen. 

Zwei aktuelle Beispiele zeigen einmal mehr, welche Macht internationale Konzerne ausüben.

Pharmakonzerne diktieren den Staaten ihre Bedingungen

«Europa hat Milliarden [Steuergelder] für die Entwicklung von Impfstoffen gegen Covid-19 ausgegeben. Deshalb sollten die Impfstoffe als öffentliches Gut betrachtet werden.» Das erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am virtuellen WEF. Doch das ist Wunschdenken. Die Pharmakonzerne konnten den geldgebenden Staaten ihre Bedingungen aufzwingen. Sogar die ausgehandelten Preise bleiben geheim. Markttransparenz bleibt ein Lippenbekenntnis. Die Rohdaten ihrer eigenen, selbst durchgeführten Wirkungs- und Sicherheitsstudien dürfen Dritte nicht einsehen.

Besonders krasse Folgen zeigt das Diktat der Pharmakonzerne in der Ukraine. Wegen der dort grassierenden Korruption haben westliche Staaten durchgesetzt, dass die Regierung wenigstens bei den Staatsausgaben für Transparenz sorgt. Ein Gesetz schreibt seither vor, dass die Klauseln fast aller Staatsaufträge veröffentlicht werden müssen. Die Offenlegung soll Schmiergelder und Vetternwirtschaft möglichst verhindern.

Doch die westlichen und ukrainischen Antikorruptionsbestrebungen haben nicht mit den Pharmakonzernen gerechnet. «Die extremen Geheimhaltungsforderungen [der Pharmakonzerne] sind nicht vereinbar mit dem ukrainischen Gesetz», erklärte die ukrainische Gesundheitsministerin Svitlana Shatalova der «New York Times».

Pfizer und Moderna haben die Regierung vor die Wahl gesetzt, entweder ihre Bedingungen zu akzeptieren oder auf die Impfstoffe zu verzichten. Darauf knickte die Regierung ein. Statt der staatlichen «Medical Procurement Company» beauftragte sie die internationale NGO «Crown Agents», die Verträge mit den Pharmakonzernen abzuschliessen. Der Direktor der «Medical Procurement Company», Arsen Zhumadilov, protestierte vergeblich.

Google und Facebook drohen mit Netzsperre und setzen Parlament unter Druck

Ein weiteres Beispiel, wie Grosskonzerne demokratische Entscheidungen beeinflussen, bieten zurzeit die Mediengiganten Google und Facebook in Australien. Seit Monaten hat sich Premierminister Scott Morrison zum Ziel gesetzt, das Meinungsmonopol der Giganten zu brechen. Kern des Gesetzes, das Australiens Parlament zu verabschieden gedenkt, sind folgende zwei Bestimmungen: 

  • Google und Facebook sollen einen Teil ihrer Milliardengewinne in Australien mit Autoren, Verlagen und Start-ups teilen. Damit sollen Zeitungen, Blogger und Verleger vor einem Meinungs- und Nachrichten-Monopol der Internet-Riesen geschützt werden
  • Google und Facebook müssen Änderungen des Algorithmus  vierzehn Tage zum Voraus bekanntgeben, wenn die Änderung grössere Auswirkung auf die Handhabung der Inhalte durch die User hat.

Nach Angaben der «New York Times» nahm Google allein in Australien im Jahr 2019 mit Werbung 3,3 Milliarden Dollar ein, wies einen Gewinn von 637 Millionen Dollar aus, zahlte jedoch nur 77 Millionen Dollar Steuern.

Weil die Regierung trotz massiven Druckversuchen bisher nur wenige Abstriche am Gesetz zugestand, erklärte Mel Silva, Geschäftsführerin für Google in Australien, vor einer Woche bei der Anhörung im australischen Senat, dass man «wirklich keine andere Wahl habe», als die Google-Suchfunktion in Australien «nicht mehr zugänglich zu machen», sollte das Gesetz in der aktuellen Form verabschiedet werden. Facebook schloss sich der Drohung an.

«Google und Facebook fürchten wohl, dass andere Länder dem Beispiel Australiens folgen würden», erklärte Johan Lidberg, Medien-Professor an der Monash University in Melbourne. Die Druckversuche zeigten, dass das Gesetz dringend nötig sei. Die Macht dieser Konzerne entgleite vollkommen der politischen Kontrolle.

USA: Milliarden zum Beeinflussen der Parlamentarier, der Medien und der Öffentlichkeit

Weil grössere Lobby-Ausgaben in den USA veröffentlicht werden müssen, sind die enormen Summen bekannt, mit denen Grosskonzerne in den USA Politiker, Medien und die Öffentlichkeit mit einseitig ausgewählten Informationen sowie mit geldwerten Leistungen beeinflussen können.

Facebook, Amazon, Microsoft, Alphabet (Google etc.) und Apple gaben im Jahr 2020 allein in Washington zusammen über 60 Millionen US-Dollar für das Lobbying aus.

Das «Center for Responsive Politics» hat die Lobbying-Ausgaben der mächtigsten Branchen in den USA zusammengestellt: 

Lobby Ausgaben USA
Lobby Ausgaben in den USA: Die Gesamtsumme dieser sechs Branchen beträgt über 2,6 Milliarden Dollar.  © Center for Responsive Politics

Die Konzerne weisen gerne darauf hin, dass auch Umweltorganisationen und andere NGOs lobbyieren würden. Von ähnlich langen Spiessen kann jedoch bei diesen Summen keine Rede sein.

Urs P. Gasche

ist Redakteur der Online-Zeitung Infosperber.ch. Der Infosperber konkurriert nicht mit großen Medienportalen, er ergänzt sie. Die Plattform hat sich als Ziel gesetzt, allein nach gesellschaftlicher oder politischer Relevanz zu gewichten. Der Infosperber sieht, was andere übersehen.

 

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